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Aus: Ausgabe vom 08.06.2024, Seite 4 / Inland
Europawahl

Krise und Aufbruch

Vor EU-Parlamentswahl: BSW mit Erfolgschancen bei erster bundesweiter Wahlteilnahme, Linkspartei wohl vor nächster Klatsche
Von Nico Popp
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Diese Stimme war ungültig: Beschädigte Wahlplakate der Regierungsparteien in Leer

Am Sonntag sind die Wahlberechtigten in der Bundesrepublik aufgerufen, die 96 für Abgeordnete aus der Bundesrepublik reservierten Mandate im EU-Parlament unter 1.413 Kandidatinnen und Kandidaten aus 35 Parteien zu verteilen. Die Wahl hat zusätzliche Bedeutung, weil sie ein gutes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl stattfindet. Die Wahlbeteiligung bei Europawahlen ist zuletzt deutlich gestiegen; nach 48,1 Prozent 2014 gaben 2019 61,4 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. 2024 dürfen erstmals auch 16jährige und 17jährige wählen.

Neben allerlei rechten, konservativen, liberalen und Ein-Thema-Parteien gibt es am Sonntag auch ein paar Wahlvorschläge aus dem – im weitesten Sinne – linken Spektrum. Am stärksten abschneiden dürfte hier das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), dessen Grundidee es ist, einen klassisch linkssozialdemokratischen Ansatz in der Sozial- und Friedenspolitik mit einer harten rechtssozialdemokratischen Linie bei den Themen Migrationspolitik und »innere Sicherheit« zu kombinieren. Die Partei will sich nicht als »links« bezeichnen, weil mit der Zuschreibung »links« von den Wählerinnen und Wählern heute keine Ausrichtung auf die Interessen der Bevölkerungsmehrheit mehr verbunden werde – sondern genau das Gegenteil.

Der BSW-Ansatz ist ein neues Element in der Politik der Bundesrepublik, und neu ist auch, dass eine Kleinpartei – Aufnahmen von Mitgliedern erfolgen vorerst weiter sehr selektiv und dosiert – mit ein paar hundert Mitgliedern bei einer bundesweiten Wahl ein gewichtiger Faktor ist. Mit rund sieben Prozent der Stimmen kann das BSW laut Umfragen im Bundesdurchschnitt rechnen, die Ergebnisse in den ostdeutschen Ländern könnten durchweg zweistellig ausfallen.

Die Wahlkampfabschlusskundgebung des BSW fand am Donnerstag in Berlin statt. Parteichefin Wagenknecht, die sich zufrieden mit dem Zustrom zu den BSW-Wahlkampfveranstaltungen zeigte, konzentrierte sich in ihrer Rede in der Hauptsache auf wirtschafts- und sozialpolitische Themen: Löhne, Renten, Mieten, Energiepreise. Sie kritisierte die Ampelregierung scharf und grenzte sich von der AfD ab. Das Thema Migration streifte sie nur kurz: Dass dieses Thema in den vergangenen Jahren weitgehend der AfD überlassen worden sei, habe die rechte Partei stark gemacht. Mit Blick auf den Ukraine-Krieg forderte sie, alles zu unternehmen, um schnellstmöglich zu Verhandlungen und einem Waffenstillstand zu kommen.

Die Linkspartei, aus der die engere Führungsgruppe des BSW kommt, beendete am Freitag nachmittag ihren Wahlkampf mit einer Kundgebung in Potsdam. Während das BSW die EU durchweg kritisiert (ohne ihr eine grundsätzliche Absage zu erteilen), spricht Die Linke nur von »Unzulänglichkeiten und Fehlkonstruktionen« und bekennt sich zum »politischen Erfolg der europäischen Integration«. Energisch und politisch akzentuiert wirkte der Wahlkampf der schwer angeschlagenen Partei zu keinem Zeitpunkt – obwohl der Parteispitze klar sein dürfte, dass ein katastrophales Ergebnis am Sonntag die Organisationskrise weiter zuspitzen wird. In den Umfragen lag die Partei zuletzt bei drei Prozent.

Auch die Linkspartei hat ein stark auf soziale Themen fokussiertes Programm vorgelegt, steht aber einmal mehr vor dem Problem, dass sie ihre alte Kernklientel nicht mehr erreicht. Verschärft wird das durch die direkte Konkurrenz mit dem BSW, das genau diese Menschen anspricht. Der seit Jahren forcierte Ansatz der Partei, für liberale und aktivistische Milieus in den Großstädten attraktiv zu werden – diesmal auch personell durch die Nominierung mehrerer Personen aus diesem Spektrum unterstrichen –, dürfte vor dem Schiffbruch stehen.

Zumal die Partei auch innerhalb dieser Milieus Konkurrenz bekommt – mit MERA 25 wirbt beispielsweise eine Formation um Stimmen, die sich deutlich entschiedener gegen den Gazakrieg artikuliert hat als Die Linke. Das dürfte vor allem bei »urbanen« Linken mit migrantischem Hintergrund ein ausschlaggebender Faktor sein. Und Wähler, die ihr Kreuzchen im Zweifelsfall bei revolutionär-sozialistischen Parteien machen, haben auch diesmal die Möglichkeit, das zu tun: DKP und MLPD stehen auch auf dem Wahlzettel.

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  • Leserbrief von R.Brand (8. Juni 2024 um 10:00 Uhr)
    Die MLPD? Nein danke, dort ist zuviel Verfassungsschutz drin. Zudem war diese pseudolinke Partei stets auf Seite der NATO, auch in Syrien mit »Assad must go« und Libyen bei der Pfählung von Gaddafi.
  • Leserbrief von Thomas aus Rudolstadt (7. Juni 2024 um 23:22 Uhr)
    Danke Nico Popp, das hast du gut geschrieben. Mal sehen wie die Wahl tatsächlich ausgeht und dann geht die Arbeit für das BSW erst richtig los. Dann folgen die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg und da legen wir noch eine Kohle drauf. Thomas
    • Leserbrief von Franz Döring (10. Juni 2024 um 11:01 Uhr)
      Die BSW ist keine marxistische Partei, sondern eine populistische Partei, die eine rechte Ausländerpolitik fordert und die Politik der alten Bundesrepublik gut findet und Ludwig Erhard bewundert!

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