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Aus: Ausgabe vom 08.06.2024, Seite 8 / Ansichten

Andere Interessen

Russland und globaler Süden
Von Arnold Schölzel
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Die Staatschefs von Simbabwe, Emmerson Mnangagwa (2. v. r.), und Bolivien, Luis Arce (3. v. r.), am Freitag mit Wladimir Putin (r.) in Sankt Petersburg

Am Mittwoch sprach Wladimir Putin im Rahmen des Internationalen Wirtschaftsforums in Sankt Petersburg mehr als drei Stunden mit leitenden Vertretern internationaler Nachrichtenagenturen. Die Berichterstattung im Westen war mäßig bis ignorant. Am Donnerstag empfing der russische Präsident die Staatschefs von Simbabwe, Emmerson Mnangagwa, und von Bolivien, Luis Alberto Arce, zu Gesprächen; am Freitag referierte er zusammen mit ihnen auf einer Plenarsitzung des Forums. An dem nahmen 18.600 Gäste aus 139 Ländern (dpa: »Dutzende Länder«) teil, darunter 50 Außenminister, unter ihnen der des NATO- und EU-Mitglieds Ungarn. Péter Szijjártó setzte sich dort für einen sofortigen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg ein und sah nach den jüngsten Entscheidungen zum Gebrauch westlicher Waffen gegen Russland die »NATO näher an einem Krieg als je zuvor«.

Ungefähr zum selben Zeitpunkt, als die in der Normandie versammelten westlichen Staats- und Regierungschefs ihren Krieg gegen Russland als Fortsetzung der Antihitlerkoalition priesen und Wolodimir Selenskij Putin mit Hitler nicht verglich, sondern gleichsetzte, bedankte sich Mnangagwa bei Putin für Lebensmittelhilfe und militärische Kooperation. Sein Land habe lieber Beziehungen mit Nationen, die es respektierten, als mit Leuten, die »auf uns heruntersehen«. Ähnliches erklärte Arce.

Das Bild, das sich ergibt, ist gespenstisch: Der Westen hat militärisch und rhetorisch jedes Maß verloren. Realitätsverlust und Fehlkalkulation aus Größenwahn sind zu einer menschheitsgefährdenden Mischung gemixt worden. Ungarn dürfte nicht das einzige Land sein, das angesichts dessen ausschert. Offenbar kann sich Budapest, das sich zugleich im Gazakrieg bei der Unterstützung des israelischen Vorgehens von niemandem überbieten lässt, leisten, was andere, einschließlich der BRD, sich nicht leisten können: Es bezieht Energieträger nach wie vor aus Russland.

Dessen Ökonomie wuchs im ersten Quartal um 5,4 Prozent – und nicht allein wegen Aufrüstung. Selbst in Springers Welt war am Freitag zu lesen, der Aufschwung erfasse »viele Sektoren«. Offenbar gelang es, an die Stelle zahlreicher früher aus dem Westen bezogener Hightechkomponenten Eigenentwicklungen zu setzen. Das Muster ist aus China, das seit Donald Trumps Präsidentschaft mit Wirtschaftskrieg überzogen wird, bekannt. Gelernt hat der Westen nichts daraus.

Und noch ein Tupfer fürs Bild: Zugleich arbeitet Russland zusammen mit Aserbaidschan und dem Iran an einem Transportkorridor von Sankt Petersburg bis zum Persischen Golf, der gegenüber der Fahrt durch den Suezkanal etwa zehn Tage weniger an Zeit für weitergehende Lieferungen ermöglichen soll. Das chinesische Vorbild »Neue Seidenstraße« ist erkennbar. Mit Krieg lassen sich solche Vorhaben nicht verwirklichen, aber verhindern. Die Interessenlage ist eindeutig.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (9. Juni 2024 um 11:38 Uhr)
    Werfen wir einen genaueren Blick auf einige russische Wirtschaftsdaten: Putin gibt jährlich etwa 120 Milliarden Dollar für seinen Krieg aus – das entspricht etwa 5,4 Prozent des russischen BIP von 2,2 Billionen Dollar. Die gängigste russische Artilleriegranate kostet etwa 500 Dollar. Dennoch ist die finanzielle Kluft zur westlichen Hilfe nach wie vor enorm. Die europäische Unterstützung für Kiew beläuft sich über zwei Jahre auf 88 Milliarden Dollar – etwa 0,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Die vom ukrainischen Militär verwendeten Granaten kosten zwischen 6000 und 8000 Dollar. Zwar ist die russische Armee von Korruption geplagt – Jewgeni Prigoschin hatte Recht, nicht umsonst wurden kürzlich Veränderungen an der Militärspitze vorgenommen – aber das allein reicht nicht aus, um einen so großen Vorteil zunichtemachen. Außerdem existiert Korruption nicht nur in Russland, sondern auch in der Ukraine, wo schätzungsweise 30 Prozent der gelieferten Waffen auf dem Schwarzmarkt landen. Berücksichtigt man den amerikanischen Beitrag, so ist Moskau dem Westen mindestens 2,5-fach überlegen. In diesem Jahr, zunächst noch ohne die Unterstützung der USA, hat dieses Verhältnis sogar vier zu eins erreicht. Zu Beginn des Krieges betrug die Bevölkerung Russlands 142 Millionen und die der Ukraine 42 Millionen. Jetzt, zwei Jahre später, leben im freien Gebiet der Ukraine nur noch etwa 25 Millionen Menschen, und die Zahl sinkt weiterhin täglich. Bleibt die aktuelle ukrainische Lage bestehen, wird Charkiw noch in diesem Jahr fallen und Odessa im nächsten. Bis 2026 wird die Ukraine nur noch in der Lage sein, einen kleinen Guerillakrieg um Lemberg zu führen. Dies ist sogar ein optimistisches Szenario, vorausgesetzt, die ukrainischen Streitkräfte setzen ihren heldenhaften Widerstand trotz aller Herausforderungen noch eine Weile fort. Aber was dann?

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