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Aus: Ausgabe vom 08.06.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Finanzpolitik

Die hauchzarte Zinssenkung

Vor ihrem großen Vorbild in den USA hat die EZB die Leitzinsen gesenkt – weil die Euro-Zone vom Wirtschaftskrieg stärker geschädigt ist
Von Lucas Zeise
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»Vielleicht ein Anflug von Vernunft«: EZB-Chefin Christine Lagarde nach der Ratssitzung am Donnerstag

Angesichts der seit 2023 trüben Konjunktur hat die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag die Leitzinsen leicht gesenkt. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich die Banken in der Euro-Zone in der großen Masse Geld leihen, wurde von 4,5 auf 4,25 Prozent herabgesetzt. Der »Einlagensatz«, den die EZB den Geschäftsbanken kurzfristig für überschüssiges Geld zahlt, wurde von vier auf 3,75 Prozent ermäßigt. Die Zinssenkung war von EZB-Präsidentin Christine Lagarde und ihrem Chefvolkswirt Philip Lane praktisch angekündigt worden. Denkbar ist, dass – ähnlich wie der ersten Zinserhöhung im Sommer 2022 zehn weitere binnen eines Jahres auf das bis jetzt gültige Niveau folgten – nun eine Serie von Zinssenkungen eingeleitet wird.

Ökonomische Gründe dafür gibt es genug: Die »Inflation« (gemeint ist damit allgemein die Preissteigerungsrate auf der Verbraucherebene binnen eines Jahres) hatte Ende 2022 einen Höhepunkt von über zehn Prozent erreicht, ist dann aber fast ebenso schnell 2023 und Anfang 2024 zurückgegangen und lag im vergangenen Monat mit 2,6 Prozent nur wenig über dem, was die EZB selbst mit zwei Prozent als ihren Zielwert anpeilt.

Notenbanken haben wenig Mittel, auf die Entwicklung der Preise Einfluss zu nehmen. Sie können lediglich das Zinsniveau im Finanzsektor beeinflussen. Ist die Inflationsrate zu hoch, werden so die Leitzinsen angehoben, was für die Kapitalisten Investitionen kalkulatorisch weniger profitabel macht, die Investitionen dämpft und die Nachfrage nach Investitionsgütern und in der Bauwirtschaft schrumpfen lässt. Die Zahl der Beschäftigten sinkt, die Löhne steigen nicht mehr, die Kaufkraft der Masse der Bevölkerung lässt nach und die Konjunktur lahmt. Das Ziel ist erreicht, wenn so dank schwächerer Nachfrage höhere Preise nicht mehr durchgesetzt werden können. Die Inflation verliert an Kraft und sinkt wieder.

Die Inflationswelle 2021/22 wurde in erster Linie von steigenden Energiepreisen ausgelöst, die durch die Sanktions- und Kriegspolitik der USA und ihrer Verbündeten gegen wichtige Gas- und Erdölexportstaaten (Irak, Libyen, Venezuela, Iran) eingeleitet wurde und durch die rasante Verschärfung dieser Politik gegen Russland intensiviert wurde. Dazu kamen Probleme im Seehandel, gerissene Lieferketten aufgrund der Coronarestriktionen und eine Abwendung der USA von der Freihandelspolitik seit der ersten Präsidentschaft Donald Trumps. Diese Inflation war also nicht entstanden, weil überbordende Nachfrage und gute Konjunktur den Unternehmen Preiserhöhungsspielräume ermöglichten, sondern weil Knappheit vor allem im Energiesektor entstand und die Preise hochtrieb. Die Zentralbanken, nicht nur die EZB, blieben deshalb auch eine Weile untätig. Sie argumentierten zu Recht, dass die Ursachen für die steigenden Preise durch monetäre Maßnahmen nicht bekämpft werden könnten. Erst als sich abzeichnete, dass das Preisniveau weiter stieg, setzten die Zentralbanker in schneller Abfolge die Zinsen nach oben.

Die Preissteigerungswelle brach bereits am Jahreswechsel 22/23. Danach gingen die Inflationsraten wieder zurück. Die Hauptursache dafür waren die wieder zurückgehenden Energiepreise, die nicht deshalb sanken, weil die Sanktionspolitik der USA (und ihrer Verbündeten) geändert wurde, sondern weil die hohen Preise die Nachfrage und die Weltwirtschaft insgesamt schwächten. Die höheren Zinsen der Zentralbanken haben die Nachfrageschwäche nur verstärkt und damit erreicht, dass die Lohnsteigerungen, die den Reallohnverlust der Lohnabhängigen kompensieren sollten, relativ bescheiden blieben. Frau Lagarde drohte auch am Donnerstag, dass die EZB nur dann weitere Zinssenkungen folgen lassen könne, wenn es zu keinen höheren Lohnabschlüssen kommen werde.

Immerhin: Vielleicht ist es ein zarter Anflug von Vernunft, der die EZB veranlasst, ihre Leitzinsen jetzt endlich etwas zurückzunehmen – und zwar bevor die Zentralbank der USA, das große Vorbild, agiert. Dass die EZB ausnahmsweise schneller und etwas vernünftiger ist, hat einen einfachen Grund. Die Euro-Zone ist vom Wirtschaftskrieg stärker geschädigt als die USA. Das Gift der unnötig hohen Zinsen muss dringender abgesetzt werden.

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