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Aus: Ausgabe vom 08.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Reise

Zügig und still

Nordischer Sommer
Von Bernhard Spring
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Besser von oben fotografieren: Die kleine Meerjungfrau in Kopenhagen

In jedem Souvenirshop gibt es dänische Kekse, auf dem Rathausplatz verkaufen gleich zwei Buden echte dänische Hotdogs, und die kleine Meerjungfrau hat zur Abwechslung mal nicht ihren Kopf verloren. Es könnte ein sehr schöner Tag in Kopenhagen sein.

Wenn nicht im Reiseführer diese seltsame Bemerkung stünde: Da ist von einer »stark vertretenen Dänemark-den-Dänen-Politik« die Rede, und dass »Kopenhagener mit ausländischem Ehepartner gern ins liberalere schwedische Malmö flüchten«. Sehr konträr und ebenso plakativ ist im selben Atemzug von einer »fast südländischen Herzlichkeit (alle sind beim Du)« die Rede. Wie passt das zusammen?

Kopenhagen ist so klein wie Leuna und hat so viele Einwohner wie Leipzig. Dazu noch die Dänen im Speckgürtel rund um ihre Hauptstadt und fast vier Millionen Touristen pro Jahr. Trotzdem ist die Stadt erstaunlich leise, weil es hier den typisch deutschen Verkehrslärm nicht gibt, denn Autos sind zumindest in der Innenstadt rar und selbst die Radfahrer greifen nur selten zur Klingel. Man fährt zügig und still.

Abgesehen davon ist das Kopenhagener Flair schwer zu erfassen, denn hier wechselt sich auf kleinstem Raum alt und neu ab. Kaum ein Straßenzug, der einheitlich bebaut ist. Neben jeder Sehenswürdigkeit ein Gebäude, das die Instagram-Story crasht. Selbst bei der Meerjungfrau muss man sehr von oben her fotografieren, damit im Hintergrund nur Wasser ist, denn jenseits des Kanals säumen unschöne Industrieanlagen das Ufer.

Dort und im Tivoli und an anderen Hotspots wirkt Kopenhagen deutlich multikultureller, als es der Reiseführer vermuten lässt. Doch sowie es nieselt, verschwinden die Touristen unter den Regenschirmen und plötzlich sind fast nur noch hochgewachsene und offenbar wetterfeste Blondschöpfe zu sehen. Auch beim monarchischen Volkslauf Royal Run, den wohl kaum ein Besucher auf dem Plan hat, sind gefühlt nur Vorzeigegermanen auf der Straße.

Halb zwölf im Schlosshof von Amalienborg. Der Danebrog weht nicht am Mast, die Königsfamilie weilt in der Sommerresidenz, die längst von der Stadt umwuchert wurde. Hunderte warten auf die Wachablösung, trotz Regen. Polizisten sorgen dafür, dass niemand die Linie aus schwarzen Pflastersteinen übertritt. Als die Gardisten kommen, ist ein guter Kamerazoom gefragt, denn gerade einmal acht Soldaten führen ihre steife Choreographie auf. Dänemark ist halt deutlich kleiner als Großbritannien.

Den stärksten Kontrast zum royalen Getue bietet wohl Christiania auf der Nachbarinsel. Am Hafen der Grönlandsegler, wo früher die Fernfahrer beladen wurden, gibt es ein Street-Food-Festival, dahinter zeigt sich ein Park in für dänische Verhältnisse ungewohntem Wildwuchs – und schon öffnet sich die legendäre Freistadt. Das Areal ist ein buntes Nebeneinander von alten Militärgebäuden und Schrebergartenbuden. So richtig alternativ fühlt es sich aber trotz der allgegenwärtigen Palettensitzgruppen und Reifenschaukeln nicht an. Die Wege sind frisch asphaltiert, Strom und Wasser sind selbstverständlich und Briefkästen auch. Die legendäre Pusher Street wurde unlängst geschlossen, weil zu viel Drogen und Kriminalität. Die halbe Million Touristen, die Christianias knapp 1.000 Einwohner jedes Jahr bestaunt, soll sich sicher fühlen.

Wohl auch deshalb gibt es wenig Politik, nur ein paar sehr dezente Schilder, die auf englisch zum Boykott deines nächsten Nazis aufrufen. Ansonsten viel Keramik, Batik und Filz. Sonntags treten Bands auf, sie spielen Jazz und Swing statt Punkrock und Indie Pop. Es darf geschunkelt werden. Drumherum herrscht Bierzeltambiente.

Weiter abseits der Hauptwege, am Kanal, stehen die letzten Hütten Christianias zwischen Bäumen, liegen Boote an den Stegen und wirkt es so ländlich – und ist doch genauso wie Kopenhagens dicht bebaute Innenstadt nebenan: äußerst still.

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