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Aus: Ausgabe vom 08.06.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Kriegsverlauf unberechenbar

1893 warnte Friedrich Engels vor einer nie gesehenen Verwüstung Europas, sollte die Hochrüstung nicht beendet werden
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»Jeder Großstaat sucht dem andern den Rang abzugewinnen in Kriegsmacht und Kriegsbereitschaft«: Werbeplakat der Bundeswehr

Die hier wiederabgedruckten Artikel wurden veröffentlicht im Berliner Vorwärts, März 1893, während der Reichstagsdebatte über die Militärvorlage.

Ich gehe darin von der Voraussetzung aus, die sich mehr und mehr allgemeine Anerkennung erobert: dass das System der stehenden Heere in ganz Europa auf die Spitze getrieben ist in einem Grad, wo es entweder die Völker durch die Militärlast ökonomisch ruinieren oder in einen allgemeinen Vernichtungskrieg ausarten muss, es sei denn, die stehenden Heere werden rechtzeitig umgewandelt in eine auf allgemeiner Volksbewaffnung beruhenden Miliz. Ich versuche, den Beweis zu führen, dass diese Umwandlung schon jetzt möglich ist, auch für die heutigen Regierungen und unter der heutigen politischen Lage. (…) Ich suche nur festzustellen, dass vom rein militärischen Standpunkt der allmählichen Abschaffung der stehenden Heere absolut nichts im Wege steht; und dass, wenn trotzdem diese Heere aufrechterhalten werden, dies nicht aus militärischen, sondern aus politischen Gründen geschieht, dass also mit einem Wort die Armeen schützen sollen nicht so sehr gegen den äußern wie gegen den innern Feind.

Die allmähliche Herabsetzung der Dienstzeit durch internationalen Vertrag, die den Kernpunkt meiner Darstellung bildet, halte ich dagegen überhaupt für den einfachsten und kürzesten Weg, um den allgemeinen Übergang vom stehenden Heer zu der als Miliz organisierten Volksbewaffnung zu vermitteln. (…)

London, 28. März 1893

Seit fünfundzwanzig Jahren rüstet ganz Europa in bisher unerhörtem Maß. Jeder Großstaat sucht dem andern den Rang abzugewinnen in Kriegsmacht und Kriegsbereitschaft. Deutschland, Frankreich, Russland erschöpfen sich in Anstrengungen, eins das andre zu überbieten. Gerade in diesem Augenblick mutet die deutsche Regierung dem Volk eine neue, so gewaltsame Kraftanspannung zu, dass selbst der gegenwärtige sanfte Reichstag davor zurückbebt. Ist es da nicht Torheit, von Abrüstung zu reden?

Und doch rufen in allen Ländern die Volksklassen, die fast ausschließlich die Masse der Soldaten zu stellen und die Masse der Steuern zu zahlen haben, nach Abrüstung. Und doch hat überall die Anstrengung den Grad erreicht, wo die Kräfte – hier die Rekruten, dort die Gelder, am dritten Ort beide – zu versagen beginnen. Gibt es denn keinen Ausweg aus dieser Sackgasse außer durch einen Verwüstungskrieg, wie die Welt noch keinen gesehn hat? (…)

Nun besteht gerade die moderne, die revolutionäre Seite des preußischen Wehrsystems in der Forderung, die Kraft jedes wehrfähigen Mannes für die ganze Dauer seines wehrfähigen Alters in den Dienst der nationalen Verteidigung zu stellen. Und das einzig Revolutionäre, das in der ganzen militärischen Entwicklung seit 1870 zu entdecken ist, liegt eben darin, dass man – oft genug wider Willen – sich genötigt gesehn hat, diese bisher nur in der chauvinistischen Phantasie erfüllte Forderung mehr und mehr wirklich durchzuführen. Weder an der Länge der Dienstverpflichtung, noch an der Einstellung aller wehrfähigen jungen Leute kann heute noch gerüttelt werden, am wenigsten von Deutschland, am allerwenigsten von der Sozialdemokratischen Partei, die im Gegenteil auch diese Forderung vollauf in die Praxis zu übersetzen in Deutschland allein imstande ist.

Es bleibt hiernach nur noch ein Punkt, wo das Bedürfnis nach Abrüstung den Hebel ansetzen kann: die Länge der Dienstzeit bei der Fahne. Und hier liegt in der Tat der Punkt des Archimedes: Internationale Festsetzung, zwischen den Großmächten des Kontinents, des Maximums der aktiven Dienstzeit bei der Fahne für alle Waffengattungen, meinetwegen zuerst auf zwei Jahre, aber mit dem Vorbehalt sofortiger weiterer Herabsetzung, sobald man sich von der Möglichkeit überzeugt, und mit dem Milizsystem als Endziel. (…)

Es ist ein sonderbarer Kontrast: Unsere höheren Militärs sind gerade in ihrem Fach meist so entsetzlich konservativ, und doch gibt es heute kaum ein andres Gebiet, das so revolutionär ist wie das militärische. Zwischen dem glatten Sechspfünder und der siebenpfündigen Haubitze, womit ich dazumal am Kupfergraben hantierte, und den heutigen gezogenen Hinterladungsgeschützen, zwischen dem damaligen grobkalibrigen glatten Gewehr und dem heutigen Fünfmillimeter-Magazinhinterlader scheinen Jahrhunderte zu liegen; und noch ist kein Abschluss da, noch jeden Tag wirft die Technik alles eben erst neu Eingeführte rücksichtslos über den Haufen. Jetzt beseitigt sie sogar den romantischen Pulverdampf und gibt damit dem Gefecht einen total veränderten, im voraus absolut unberechenbaren Charakter und Verlauf. Mit solchen Unberechenbarkeiten aber haben wir inmitten dieser ununterbrochenen Revolutionierung der technischen Grundlage der Kriegführung immer mehr uns abzufinden.

Friedrich Engels: Kann Europa abrüsten? Vorwärts, 1. März 1983 bis 10. März 1893. Separatdruck Nürnberg 1893. Hier zitiert nach: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (MEW), Band 22. Dietz-Verlag, Berlin 1974, Seiten 371–380

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