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Aus: Ausgabe vom 11.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Komische Kunst

»Unter Hitler gab es das nicht«

Böse Witze: Kurt Halbritters Karikaturen von »Mein Kampf«
Von Thomas Behlert
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Politischer Humor hat es in Deutschland schon immer schwer. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg. Bildwitze kamen von bräsigen Karikaturisten wie Klaus Pielert, Wolfgang Hicks und Peter Leger, die mit vielen Worten im Bild arbeiteten. Drei von der langweiligen Fraktion. Dann kam die Satirezeitschrift Pardon. Dort konnte man nun Monat für Monat die Arbeiten von Robert Gernhardt, F. W. Bernstein, Hans Traxler, F. K. Waechter, Kurt Halbritter und Chlodwig Poth lesen. Pardon erschien im Verlag Bärmeier & Nikel, der 1954 in Frankfurt am Main gegründet wurde und neben der Zeitschrift auch viele Bücher der Mitarbeiter veröffentlichte und komischerweise auch einige Jahre DM – Deutsche Mark. Hans A. Nikel, Chefredakteur und Herausgeber, machte Pardon zeitweise zur erfolgreichsten Satirezeitschrift Europas. Sein späteres Abdriften in die Yogaecke, was Pardon zum Gemischtwarenheftchen machte, führte zur Gründung der noch heute seetauglichen Titanic.

Seit vier Jahren gibt es den Verlag Bärmeier & Nikel wieder, mit Verlagsleiter Till Kaposty-Bliss und Patricia Holland Moritz für Programm und Lektorat an der Spitze, die lange nicht mehr zugängliche Veröffentlichungen präsentieren, neue Druckerzeugnisse verlegen und damit Menschen mit Humor und wachem Geist erfreuen.

Eines der ersten Bücher stammt von Kurt Halbritter. Der 1924 in Frankfurt am Main geborene und 1978 auf einer Schiffsreise nach Irland verstorbene Künstler zeichnete seit 1954 unter anderem für den Verlag und ab 1962 für Pardon. Jetzt liegt ein Buch von ihm in den Läden, das in seiner Aufmachung an Adolf Hitlers »Mein Kampf« erinnert, aber Freunden von Nazischeiße eins in die Magengrube verpasst. Halbritter wirft mit Messer, Gabel, Hammer und Sichel nach all den Mitläufern und Volksgenossen, die Hitler möglich gemacht hatten und nach dem Krieg von nichts gewusst haben wollten, aber im Schrank immer noch die Hakenkreuzfahne liegen hatten und in der Geldkassette das Eiserne Kreuz.

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Beim Betrachten der Karikaturen stellt sich ein ungutes Gefühl ein, denn ihr Witz ist böse und wahr. Sie zeigen »Erinnerungen an eine große Zeit«, in der hässliche Deutsche von einer reinen Rasse fabulierten, Kinder weinten, weil sie keine braune Uniform hatten und Hausfrauen sich über zu kleine Hakenkreuzfahnen am Fenster mokierten. Hier betet ein Jungmädchen: »Lieber Gott, hilf, dass Vater unseren Führer endlich versteht.« In einer Ausstellung von faschistischer Kunst meint eine Dame: »Ich verstehe nichts von Kunst, aber ich weiß, was schön ist, und das ist sehr schön.« Öfter kommt ein Nachkriegsstammtisch vor, der die »alte Zeit« würdigt und mit dem freieren Geist der 60er Jahren nichts anfangen kann: »Gewiss es war eine böse Zeit. Doch was wir heute an Schmutz in unserer vielgerühmten freien Presse finden, ein Skandal!«, »Nichts als Mord und Totschlag!«, »Unter Hitler gab es das nicht.«

Alle 179 Karikaturen sind bissig und immer noch gültig. Zitate aus »Mein Kampf«, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind, wirken wie Fratzen, die die Lächerlichkeit des ernsten Wahns zeigen. Besonders das Kapitel »Völkischer Staat und Rassenhygiene« ist verdammt aktuell und bietet erschreckende Parallelen zu heute. Halbritter zeichnet, wie die Mittäter, Mitläufer, Mitwisser das System stützten, schwiegen und sich feige gegen die Juden wendeten. Da darf die Tochter nicht mehr zum Spielen raus, weil die wartende Freundin einen Stern trägt. Nazis äußern bei einer Feier: »Bin ich froh, dass wir keinen Fremdblütler in der Familie haben!« Und in einer Kneipe beim Bier: »Diese Intellektuellen, und dann noch Jude!« Für die Fazitfreunde: Der Band gehört in jeden Bücherschrank.

Kurt Halbritter: Adolf Hitlers Mein Kampf. Erinnerungen an eine große Zeit. Verlag Bärmeier & Nikel, Berlin 2024, 240 Seiten, 24 Euro

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