75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 29. / 30. Juni 2024, Nr. 149
Die junge Welt wird von 2819 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 20.06.2024, Seite 5 / Inland
Rentenkasse

Niedriglöhner sterben früher

… und erhalten dadurch noch mal weniger Rente, weiß jetzt auch das DIW
Von Ralf Wurzbacher
Putzfrau_Katja_Schul_35356696.jpg
Wer wenig erhält, arbeitet härter, stirbt früher und hat die kleinste Rente

Nichts wirklich neues, aber etwas, das immer wieder skandalisiert gehört: Wer wenig Geld zum Leben hat, hat auch wenig Zeit zum Leben. Dass nun auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) diesen Zusammenhang bestätigt, sorgt immerhin für mehr Aufmerksamkeit. »Wer in Deutschland besser verdient, lebt länger und hat eine bessere psychische und physische Gesundheit«, teilten dessen hochbezahlte Wissenschaftler am Mittwoch mit. FDP-Chef und Porsche-Liebhaber Christian Lindner wird es überhören, Sozialminister Hubertus Heil (SPD) ein paar Krokodilstränen verdrücken und kurz verdrängen, dass er neuerdings bis zu 30 Prozent vom Bürgergeld bei »Pflichtverstoß« kürzt. Und danach macht er sich mit Feuereifer an die nächste »Reform«: Zwei Monate Mittelsperre bei Schwarzarbeit.

Diese und andere Arten von »Sozialbetrug« will aktuell einmal mehr die SPD eindämmen, getrieben von den Freidemokraten, die freilich noch schärfer gegen Bedürftige schießen. Auch beim DIW stößt die Bereitschaft zur Aufklärung bald an Systemgrenzen. »Die Wahrscheinlichkeit, zwischen 55 und 76 Jahren zu sterben, liegt für Menschen mit niedriger Bildung bei etwa 14 Prozent«, heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten Studie. »Für Menschen mit hoher Bildung ist die Wahrscheinlichkeit mit etwa neun Prozent deutlich geringer.« Am Montag hat die Bundesregierung den neuen »nationalen Bildungsbericht« vorgelegt. Ergebnis: Kitas und Schulen sind unterfinanziert, unterbesetzt, und bei der »Chancenverteilung« geht es hierzulande hochgradig ungerecht zu. Das werden die Jungen von heute mit einem frühen Ableben im Alter bezahlen. Die Schuldfrage stellen die DIW-Forscher aber nicht.

Sie wollten das Thema bloß differenzierter betrachten und wissen, ob die Zusammenhänge unabhängig vom Geschlecht Gültigkeit haben. Die Antwort: Jein. Natürlich bleibt es dabei, dass arme Frauen früher sterben als besser begüterte. Allerdings zeige sich dies nur beim Haushaltseinkommen. »Wie hoch ihr individuelles Einkommen ist, scheint keine Rolle zu spielen, bei Männern hingegen schon.« Auch das ist keine große Überraschung, aber den empirischen Beweis hat es noch gebraucht. Demnach werde die Lebenserwartung »maßgeblich vom Lebensstandard« beeinflusst. Und Frauen, die nicht so üppig verdienen, »können dabei jedoch häufig auf die Ressourcen ihres Partners zurückgreifen«.

Was man hätte ahnen können, ist jetzt verbrieft. »Es wird deutlich, dass das Einkommen nur eine Dimension von sozialer Ungleichheit erfasst. Weitere Ungleichheiten bestehen in der Lebenserwartung und der mentalen und physischen Gesundheit«, folgerte Studienautor Peter Haan in einem Pressestatement. Die DIW-Forscher haben in der Vergangenheit schon allerhand mehr ans Licht befördert: Etwa, dass Teilzeitarbeit und Minijobs eine weibliche Domäne und schlechter bezahlt sind als die Tätigkeiten von Männern. Bekanntlich betrifft dies auch und gerade Mütter, die neben dem Kindergroßziehen einen Beitrag zum Familienauskommen leisten. Böse gewendet, könnte man die DIW-Analyse als kleinen Trost verstehen: Liebe Frauen, ihr mögt zwar ausgebeutet werden, aber mit dem richtigen Mann an der Seite bleibt ihr dennoch länger fit und lebendig.

Aber das DIW meint es am Ende doch gut. Es schlägt nämlich den Bogen zum deutschen Rentensystem und dessen Grundpfeiler, dem sogenanntem Äquivalenzprinzip. Das besagt, dass die Höhe des Altersgeldes von der Höhe der eingezahlten Beiträge abhängt. Das ist schon an sich nicht gerecht – Stichwort Chancenungleichheit –, wird aber noch ungerechter angesichts der Kausalität zwischen Status und Lebenserwartung. »Wir haben bei der Rente sozusagen eine Umverteilung von unten nach oben«, konstatieren die Forscher und empfehlen deshalb eine »Aufwertung von niedrigen Rentenansprüchen, wie das etwa bei der Grundrente passiert«. Merke: Wenn der Kleinrentner nach 40 Jahren Maloche auf dem Bau schon früher stirbt, soll er wenigstens den Grabstein bezahlen können. Guter Vorschlag, aber sicher nichts für die Ampel.

Großes Kino für kleines Geld!

75 Augaben für 75 €

Leider lässt die Politik das große Kino vermissen. Anders die junge Welt! Wir liefern werktäglich aktuelle Berichterstattung und dazu tiefgründige Analysen und Hintergrundberichte. Und das zum kleinen Preis: 75 Ausgaben der gedruckten Tageszeitung junge Welt erhalten Sie mit unserem Aktionsabo für nur 75 €!

Nach ablauf endet das Abo automatisch, Sie müssen es also nicht abbestellen!