Spiel mit dem Feuer
Von Wiebke DiehlJe länger sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu – getrieben von seinen ultrarechten Koalitionspartnern – weigert, den nicht zu gewinnenden Krieg im Gazastreifen zu beenden, desto größer wird die Gefahr einer umfassenden regionalen Konfrontation, die völlig außer Kontrolle zu geraten droht. Das hat auch die US-Administration, die besonders im Jahr der Präsidentschaftswahl an einer solchen Eskalation nicht interessiert ist, begriffen. Aber anstatt endlich das Wohl des Landes und seiner Bürger in den Blick zu nehmen, zieht es Netanjahu weiterhin vor, sein politisches Überleben zu priorisieren. Während die Siedlerbewegung Konferenzen abhält, auf denen neben einer erneuten Besiedlung des Gazastreifens auch die des Südlibanon gefordert wird, bezeichnet der Ministerpräsident die Zehntausenden Israelis, die seit Monaten für ein Ende des Krieges demonstrieren, als »Extremisten«.
Warnungen hochrangiger israelischer Militärs, die Armee sei nicht in der Lage, einen konventionellen Krieg im Libanon zu führen, schlägt Netanjahu in den Wind. Und selbst der am Dienstag von der Hisbollah veröffentlichte Beweis, dass die als unüberwindbar geltende israelische Luftabwehr gegen ihre Drohnen und Raketen versagt hat, lässt ihn nicht einlenken. Im Gegenteil: In einer völlig irrationalen Kamikazeaktion fordern Mitglieder seiner Regierung immer lauter, Tausende junge Soldatinnen und Soldaten zum Sterben in den Krieg zu schicken.
Bereits 2006 musste sich Israels Armee nach 33 Tage andauernden Kampfhandlungen mit der Hisbollah zurückziehen, ohne auch nur eines ihrer militärischen Ziele erreicht zu haben. Seither hat die »Partei Gottes« ihr Raketen- und Drohnenarsenal erheblich ausgebaut. Mit ihren etwa 150.000 Raketen und Flugkörpern kann sie militärische Einrichtungen oder Kraftwerke gezielt treffen – womöglich in ganz Israel. Militärexperten gehen davon aus, dass sie in den ersten Tagen eines vollständigen Krieges mehrere tausend Raketen pro Tag abfeuern und damit die israelischen Abwehrsysteme überfordern würde. Hat sich die Regierung Netanjahu eigentlich schon mal gefragt, was wäre, wenn man diesen Krieg verliert?
Im Vergleich zur Hisbollah ist die Hamas, die zu »zerstören« der Armee auch nach neun Monaten Vernichtungsfeldzug, der bislang 37.000 Todesopfer forderte, nicht gelungen ist, ein Puppentheater. Die israelischen Drohungen sind ein völlig unkalkulierbares Spiel mit dem Feuer – nicht zuletzt, weil alles andere als ausgemacht ist, wie der Iran und mit ihm verbündete Gruppen im Falle einer israelischen Invasion des Libanons reagieren würden. Der Beschuss Nordisraels, von wo – je nach Schätzung – zwischen 60.000 und 230.000 Menschen evakuiert worden sind, würde mit einem Einmarsch gerade nicht beendet. Die israelischen Militärs müssten wissen, dass der Preis eines großen Krieges weit höher ist als das, was man möglicherweise gewinnen kann.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (19. Juni 2024 um 21:39 Uhr)Israel und die Hisbollah-Miliz im Libanon steuern auf einen Krieg zu, den beide Seiten eigentlich vermeiden wollen. Die Führung der Hisbollah erhöht den Druck auf Israel durch verstärkte Raketenangriffe, um eine Waffenruhe in Gaza zu erzwingen, da Israel einen Zweifrontenkrieg in Gaza und an der Grenze zum Libanon ausweichen möchte. Diese Eskalation könnte das ungeschriebene Stillhalteabkommen zwischen Israel und der Hisbollah zerstören. Mit ihren rund 100.000 Kämpfern und bis zu 200.000 modernen Raketen ist die Hisbollah ein deutlich gefährlicherer Gegner für Israel als die Hamas in Gaza, die ebenfalls vom Iran unterstützt wird. Aber die Eskalation mit dem Libanon und der Krieg in Gaza sind untrennbar miteinander verbunden. Solange Israel seine Angriffe in Gaza nicht einstellt, wird die Hisbollah ihre eigenen Angriffe nicht beenden.
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