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Aus: Ausgabe vom 20.06.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Ganz oder gar nicht

Probleme der Polemik: Am Beispiel Wiglaf Droste
Von Stefan Gärtner
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Wie schon F. W. Bernstein sagte: »Die schärfsten Kritiker der Elche / Waren früher selber welche« – Wiglaf Droste beim »Göttinger Elch« 2018

Viel Feind, viel Ehr’; viel Ehre, viel Presse, und wer sich antiquarisch den frühen Wiglaf Droste besorgt, nämlich im Sammelband »Kommunikaze / Mein Kampf, dein Kampf / Am Arsch die Räuber« (Nautilus 1998), erfährt hintendrauf so einiges: »Das ist er. Der ganze Droste. Präzis, sprachgewandt, geschickt mit Perspektiven spielend, fies«, lobte das Göttinger Tageblatt, wobei »präzis« eines der beliebtesten Nullwörter des rezensierenden Feuilletons ist und »sprachgewandt« als Lob für einen Autor etwa so, als würde man einen Bergsteiger dafür loben, dass er keine Höhenangst hat. Dass Droste mit Perspektiven spiele, mag alle wundern, die ihn dafür schätzen, dass er exakt eine Perspektive hatte, eben seine als die dem Polemiker allein angemessene. Bleibt nur mehr »fies«, und da kann die Frankfurter Rundschau gut anschließen: »Hemdsärmelig, hemmungslos pointenverliebt, sottisensatt und ohne Scheu vor Kalauern und Geschmacklosigkeiten« und also, wie das Zeit-Magazin unvergesslich formulierte, »der schärfste Stänkerer der Nation« als, so jetzt Götz Alsmann, eine Einschätzung zitierend, die ihm als allgemein aufgefallen ist, »Deutschlands härtester Schreiber«.

Es spricht nicht gegen Wiglaf Droste, dass er sich diese Rolle auf den Leib schrieb, auch wenn der Argwohn formuliert sei, dass seine Popularität am Rande auch mit der autoritären Sehnsucht nach einem, der die Meinung geigt, zu tun hatte, nach der »Nilpferdpeitsche unter den deutschen Kolumnisten«, wie die Nürnberger Zeitung zwar nicht auf dem erwähnten Buchdeckel, aber trotzdem bleibend dichtete. Für Feuilleton, selbst linkes, war da eher kein Platz. »Politisch stand Biermann in der Nähe jeder Fernsehkamera«, heißt es in einem exemplarisch unverbesserlichen Satz im »Nachruf auf Wolf Biermann«: »Seinen letzten großen Auftritt hatte Biermann während des Golfkriegs: Als habe er geahnt, dass man ihm den Büchner-Preis verleihen wollte, schrie er lauthals ›Friede den Hütten! Krieg den Palästinensern!‹ und reihte sich perfekt ein in die Phalanx der ranzigen alten Männer (Broder, Enzensberger, Pohrt u. ä.), die so gerne ihre ganz persönliche Patriot-Rakete in juveniles Fleisch und Blut versenken wollten, aus verwirrten 14jährigen Faschisten machten und mit hochgradig gedankenfreiem ›Krieg Geil!‹-Gebrüll die Selbstentleibung der deutschen Intelligenz vollzogen.« Die allerdings bloß den dialektischen Einwand gewagt hatte, dass die leidenschaftliche, das Augusterlebnis von 1914 wie umgekehrt wiederholende Verurteilung des Kriegs gegen einen Diktator, der Israel bedrohte, »den unbewussten, aber überaus heftigen Wunsch« verrate, »Saddam Hussein möge den Job vollenden, den die Nazis nicht zu Ende bringen konnten«, denn »mit der zweiten Endlösung der Judenfrage in Palästina würde die erste endgültig in den Kulissen der Geschichte verschwinden« (Broder). Wolfgang Pohrt hielt die heimische Friedensbewegung sowieso für deutschnational, und gedankenfrei war das gerade nicht, sondern lieferte im Gegenteil einen Gedanken extra, den als faschistischen Penetrationswunsch alter weißer Päderasten zu deuten nicht eben ein Kopftreffer, sondern bloß ein Tritt unter die Gürtellinie war. Das ist natürlich alles lange her, aber gleichzeitig leider überhaupt nicht, und man kann auf die Ironie stoßen, dass Droste das Milieu, dessen Schäden er fleißig anzeigte, hier bediente, indem er den ersten Gedanken gleich den besten sein ließ. Es gehört zur Wahrheit, dass er es oft genug war: »Ist der Zirkus noch so klein / Einer muss der Affe sein«, hieß es hell und schnell über den »Bluter von Klagenfurt«, Rainald Goetz, und tat das in der Verkürzung Goetz sicher unrecht, war das Verkürzte die reine Poesie.

Das ist ein Dilemma allenfalls dann, wenn man von der Polemik Journalismus erwartet und nicht Kunst. »Wer nach diesem Film noch daran denkt, eine Uniform anzuziehen, der ist ein Schwein«, nämlich ein Soldatenschwein, schließt eine der frühen Rezensionen, und es ist natürlich eine öde Feststellung und gegen die Textsorte gesprochen, dass auch Amis und Russen, die die Welt einst von den großdeutschen Oberschweinen befreiten, diese Schweineuniform trugen, so wie späterhin, auch das stimmt, bei weniger edlen Einsätzen. So kompliziert ist die Welt, aber es ist das Recht des Künstlers, sich darum nicht zu scheren. Was dem Kollegen wohl zum ­Ukraine-Krieg eingefallen wäre? Wer Waffen liefert, ist ein Schwein? Oder darf, wer Prügel austeilt, sich nicht wundern, wenn er eine fängt? Ein erster, wiederum zu schlichter Gedanke wäre, dass Polemik hier ins Schwimmen geraten müsste, weil die einfachen Antworten in dieser Sache von Wagenknecht und Strack-Zimmermann kommen. Aber die Polemik, sofern sie nur Kunst ist, bedient keine Fraktion, sie bedient sich selbst. Wiglaf Droste war der Polemiker par excellence.

»Wer immer ihn auf eine Meinung oder gar politische Position festlegen wollte, wurde überrascht«, rief die Zeit Droste nach, denn groß ist der Polemiker nur, wenn er frei ist, nämlich dagegen. Krausens berühmt-berüchtigter Essay über »Heine und die Folgen« ist viel größer als das Ressentiment, das er ausschwitzt, und die ganz persönlichen »Patriot«-Raketen der ranzigen alten Freunde Israels wären dann nicht geschmacklos, sondern das, was es nur ganz oder gar nicht gibt. Dass der früh gestorbene Kollege, den die FAZ mit mir zum sprachkritischen Duo aus Säbel und Florett zusammenspannte und dessen Abrechnung mit dem Berufsberlinertum (»Berliner zu sein ist eine Berufung«) gerahmt in meiner Oberstube hängt, nach dieser Maxime auch gelebt hat, ist eine billige Vermutung und soll deshalb hier unterbleiben.

Am 27. Juni stellt Christof Meueler seine Biografie »Die Welt in Schach halten. Das Leben des Wiglaf Droste« im Gespräch mit jW-Feuilletonleiter Peter Merg vor: Maigalerie, Torstraße 6, 10119 Berlin, Beginn: 19 Uhr, Eintritt: 10 Euro (ermäßigt 5 Euro)

Mit der Bitte um Voranmeldung unter 0 30 / 53 63 55-54 oder unter maigalerie@jungewelt.de

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