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Aus: Ausgabe vom 20.06.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Kampf um Mindestlohn in Nigeria

Vor dem nächsten Streik

Nigeria: Mindestlohnverhandlungen dauern an. Regierung bietet 62.000 Naira. Gewerkschaften erinnern an die immensen Lebenshaltungskosten
Von Georges Hallermayer
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Die aktuellen Mindestlöhne in Nigeria bedeuten bittere Armut (Abuja, 27.2.2024)

An der Frage des Mindestlohns hatte sich der Klassenkampf in Nigeria entzündet. Die Inflation ist mit 34 Prozent so hoch wie seit 28 Jahren nicht mehr, bei Lebensmitteln beträgt sie gar um die 40 Prozent – unter anderem weil die Kreditbedingungen des Internationalen Währungsfonds verlangten, soziale Ausgaben wie Subventionen auf Reis oder Treibstoff radikal zu streichen. 2022 kostete der typische individuelle Lebensunterhalt durchschnittlich 43.200 nigerianische Naira (etwa 29 US-Dollar) pro Monat bei einem Mindestlohn von 30.000 Naira (etwa 20 Dollar) monatlich. Eine Familie benötigt etwa 137.600 Naira (ungefähr 92 US-Dollar) im Monat.

Was besonders erbitterte: Im Jahr 2023 erzielten Personen in Führungspositionen in der Industrie 96.000 US-Dollar durchschnittliches Jahresgehalt in Nigeria. Ein Politiker im Senat kann sogar 25.000 Dollar monatlich einstecken.

Ein Vergleich mit anderen afrikanischen Ländern zeigt, wie stark die internationalen Ölmonopole und der Unternehmerverband NUC die Politik im Griff haben. In Südafrika beträgt der Mindestlohn mit 242 Dollar mehr als das Zehnfache, im westafrikanischen Gabun 256 Dollar, in Marokko 315 Dollar, in Libyen 325 Dollar.

Noch im Januar hatte die neoliberale Regierung eine Mindestlohnkommission eingerichtet, um sich aus der Schusslinie zu bringen. Bei den von den Gewerkschaften durchgeführten öffentlichen Anhörungen in Lagos, Kano, Enugu, Akwa Ibom, Adamawa und Abuja forderten die Beschäftigten zwischen 450.000 Naira (im Norden) und 850.000 Naira (im Süden). Die Gewerkschaften einigten sich auf die Forderung von 615.000 Naira, umgerechnet etwa 410 Dollar. Danach versprach Präsident Bola Tinubu zum 1. Mai den Mindestlohn zu erhöhen. Doch das Drei-Parteien-Komitee (Regierung, Unternehmer, Gewerkschaften) zur Festsetzung des Mindestlohns konnte sich nicht einigen. Die Gewerkschaften setzten der Regierung eine Frist bis zum 31. Mai.

Seit Bola Tinubus Amtsantritt als Präsident am 29. Mai vorigen Jahres (von 1999 bis 2007 war er Gouverneur des mächtigen Bundestaates Lagos) haben die Gewerkschaftsbünde Nigeria Labour Congress (NLC) und Trade Union Congress (TUC) schon dreimal zum Generalstreik aufgerufen. Am 3. Juni war das ganze Land stillgelegt.

Nach zwei Tagen wurde der Generalstreik ausgesetzt, nachdem sich die Bundesregierung verpflichtet hatte, »vorläufig« den Mindestlohn auf 60.000 Naira zu erhöhen und über eine dauerhafte Regelung zu verhandeln. Die Gewerkschaften haben den Streik nicht, wie angekündigt, nach einer Woche fortgesetzt. Doch auch wenn die Verhandlungen nach wie vor im Gange sind, bleibt die Lage angespannt.

Das Präsidialamt betonte am Sonntag, dass der von den Gewerkschaften geforderte (bereits auf 250.000 Naira, etwa 167 Dollar, reduzierte) Mindestlohn »nicht zu halten« sei, nachdem ALGON, die Assoziation der lokalen Regierungen, zu den von der Regierung vorgeschlagenen 62.000 Naira Bedenken geäußert hatten. Grund seien knappe Ressourcen. Bayuj Onanuga, der Sonderberater des Präsidenten, behauptete laut der nigerianischen Zeitung The Punch, die vom Streit Betroffenen »machten nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung aus«. Die Regierung werde die Gewerkschaftsführer »möglicherweise nicht wieder treffen, wenn nicht etwas Überzeugendes« herauskomme.

Der Vorsitzende der Drei-Parteien-Kommission, Bukar Goni Aji, forderte die Gewerkschaften auf, das 62.000-Naira-Angebot der Regierung zu akzeptieren, und nannte Anreize wie staatliche Lohnprämien von 35.000 Naira für Bundesbeamte und 25.000 Naira an 15 Millionen Haushalte. Andere, wie der Wissenschaftler Emmanuel Uzo Obi in This day live, plädieren dafür, das Angebot der Regierung von 62.000 Naira pro Monat anzunehmen und mit umfassenden Investitionen in die Daseinsvorsorge zu verbinden. So könne sich »die Lebensqualität der Beschäftigten verbessern, ohne die Wirtschaft übermäßig zu belasten«. Werden sich die Gewerkschaften mit Versprechungen vertrösten lassen?

Einer der Verhandlungsführer der Gewerkschaften erinnerte an die immens gestiegenen Lebenshaltungskosten, wie die nigerianische Tageszeitung Vanguard am Montag berichtete: Ein 50-Kilo-Sack Reis koste etwa 80.000 Naira, eine anständige Knolle Süßkartoffel etwa 7.000 Naira, ein halber Eimer Gari koste 3.500 Naira, ein Laib Brot 2.000 Naira, ein Kilo Fleisch 6.000 Naira, Strom 50.000 Naira im Monat. Der Transport von Gwagwalada nach Berger in Abuja täglich 3.000 Naira usw. Der Gewerkschafter forderte die Staatsführer auf, auf Luxus zu verzichten und die Ressourcen des Landes »für die nationale Entwicklung« gerecht zu verteilen.

Auch die Anglikanische Kirche forderte die Bundesregierung auf, »einen existenzsichernden Lohn zu zahlen«. Die Synode sehe mit Besorgnis »den beklagenswerten Zustand unserer grundlegenden Infrastruktur, wie Autobahnen, Elektrizität, medizinische Einrichtungen und unsere Bildungseinrichtungen«, wie Vanguard berichtete. Nigeria sei »zum Armutszentrum der Welt« geworden.

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