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Aus: Ausgabe vom 21.06.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Fußballeuropameisterschaft

Kommunale Kostenfalle EM

»Host Cities« greifen tief in klamme Stadtkassen – knapp 300 Millionen Euro für Fanmeilen und Co.
Von Oliver Rast
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Wer soll das alles berappen, etwa diesen giftgrünen Kunstrasen vor dem Doppeltor? Richtig: Die »Allgemeinheit«

Rechnen konnten sie noch nie, schon gar nicht Großevents richtig kalkulieren: Bund, Länder und Kommunen. Auch die Europameisterschaft (EM) der Kicker dürfte eines werden: ein Zuschussgeschäft – trotz aller Schönrechnerei. Für die zehn »Host Cities« (Berlin, Stuttgart, Frankfurt am Main, Hamburg, Dortmund, München, Düsseldorf, Gelsenkirchen, Leipzig und Köln). Also die Städte, die seitens der UEFA den Zuschlag als Spielstätte erhalten haben.

Zu den Zahlen. Nach Recherchen von Correctiv zahlen die Städte insgesamt locker 66 Millionen Euro mehr als geplant. Es dürften jetzt etwa 300 Millionen Euro sein. Der Ausreißer nach oben – erwartbar – Berlin. Deshalb zuerst der Blick in die Bundeshauptstadt. Statt 44 Millionen Euro werden es fast 84 Millionen sein, eine knappe Verdopplung. Fanmeile am Brandenburger Tor, Fanzone vor dem Reichstagsgebäude kosten addiert 24 Millionen Euro. Allein der Kunstrasen vor dem Tor mit der Quadriga schlägt mit 1,2 Millionen Euro zu Buche. Gut, der nach dem Finale wohl abgewetzte Flecken- und Flickenteppich soll anschließend auf Bolzplätzen in Wohnvierteln, Schulhöfen und Kitas verlegt werden.

Aber was macht Berlins Sportsenatorin Iris Spranger aus der Fehlkalkulation? Folgendes: »Wir rechnen konservativ mit 600 Millionen Euro Mehrwert für das Land Berlin«, halluzinierte die sozialdemokratische Zahlenjongleurin am Freitag vor einer Woche gegenüber dem RBB. Sie meint damit die direkte und indirekte Wertschöpfung, die nach Abzug der Kosten entsteht; entstehen soll. Eine Luftbuchung, bestimmt. Das Kontrastprogramm hingegen: die Streichliste des schwarz-roten Senats. Der will im Doppelhaushalt 2024/2025 fast eine halbe Milliarde Euro »einsparen«. Etwa bei Sozialem, Kultur und Bildung.

Bemerkenswert: Bei allen weiteren neun Ausrichterstädten liegen EM-spezifische Kosten zwischen 13 und 30 Millionen Euro. Fast ein Schnäppchen. Interessant die Praxis der Buchhalter am Neckar. In Stuttgart soll es laut Correctiv keine Kostenübersicht gegeben haben. Es konnte »naturgemäß keine Gesamtkalkulation erstellt werden«, zitieren die Rechercheure einen Stadtsprecher. Übersetzt: stiegen Ausgaben, wurden sie für den jeweiligen Haushalt angemeldet. Tricksen auf schwäbisch.

Aber nicht alle Städte sind auf einem Extraschuldentripp. Zu Beginn der Bewerbungsrunde für die EM waren 18 Städte interessiert. 14 haben sich schließlich beworben, hatte Deutschlandfunk (DLF) im Mai berichtet. Bekannt ist: Kaiserslautern zog aus Finanzgründen zurück, Bremen unterwarf sich nicht dem Auflagendiktat der UEFA.

Was bringt die EM sonst so (ein), etwa volkswirtschaftlich? Fast nichts. Konsumenten geben ihr Geld nur einmal aus. Weiterhin, das heißt: Privatausgaben verschieben sich, mehr nicht. Das kapitalnahe Münchner Ifo-Institut erwartet zwar 600.000 Auslandsgäste während der EM, die eine Milliarde Euro in Deutschland lassen werden, berichtete am vergangenen Sonnabend die Wirtschaftswoche. Der Konjunktureffekt ist aber nicht messbar, wissen Sportökonomen. Ein Nullsummenspiel, für »Host Cities«: unerreichbar.

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  • Leserbrief von Klaus Büchner (24. Juni 2024 um 10:26 Uhr)
    Der Kunstrasen vor dem Brandenburger Tor ist nicht nur ein finanzielles Ärgernis, sondern auch eine ökologische Katastrophe. Entgegen den Aussagen des Herrn Moritz von Dülmen, Leiter der »Kulturprojekte (sic) Berlin GmbH«, die diese infantile »Idee« verbrochen haben, lösen sich ständig Kunststoffteile ab, gelangen in die Landschaft sowie ungefiltert in die Kanalisation und damit in Flüsse, Seen und Meere.
    Diese Intelligenzbolzen sind wie die Betrüger aus »Des Kaisers neue Kleider«, die jeden, der ihren Unfug durchschaut, für dumm erklären. Und danach wundert man sich wieder über Plastikmüll und Mikroplastik. Wer genehmigt so was?
    Dass der Rasen danach angeblich an Kitas und Schulen verteilt werden soll, ist unverschämt und einfach nur eine dreiste Zwecklüge. Die Kinder würden sich bestimmt nicht über in zertretene Plastikfetzen eingehüllte Zigarettenkippen, Kaugummi-, Getränke- und Essensreste, Urin und Hundekot freuen. Natürlich wird das Gesundheitsamt so was aus hygienischen Gründen untersagen und der Kunststoff landet im Müll. Eine Reinigung wäre unwirtschaftlich.
    Aber das konnte ja wieder keiner vorher ahnen.

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