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Aus: Ausgabe vom 21.06.2024, Seite 10 / Feuilleton
Fernsehsport

EM-Depesche (6)

Bistro
Von Jürgen Roth
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Achttausend Einwohner, ein schmucker Gnombahnhof, zwei malerische Lindenalleen, drei Kirchen, ein echtes, ziemlich altes Wirtshaus, eine nur noch sporadisch geöffnete Gaststätte, diverse Fresshütten unterschiedlicher Qualität und zwei Deppenlokale beziehungsweise Schnapsausschankbuden – das ist die Gemeinde N., eine meiner mindestens zwei Heimaten.

Zum Fußballgucken gehe ich um die Ecke ins »Seven Bistro« – der Inbegriff des innenarchitektonischen Rundumversagens, ein Anschlag aufs Gemüt in Plastik, Pressspan und Linoleum. Das stört mich aber nicht, denn die hiesige Sozialformation vermag in ihrer Heterogenität und durch die immanente Inklination zu – je nach Tageszeit – entweder Chaos oder fränkischer Schweigsamkeit erheblich zu erfreuen, selbstverständlich bei konsequenter Abwesenheit von »Geschäftsleuten« und anderen Geldhubern.

Da wäre zum Beispiel einer der drei Söhne der FCN-Legende Eckes Eckstein; da wäre der Rentner Apollo, der zu Getränkeunfällen neigt; da wären mehrere landestypische Grantler, ein polnisches Plappermaul, ein opaker Nichtstuer, der Lkw-Fahrer Gerhard, ein Maurer, der sich neben Steinen stark für Bier interessiert, ein Extrucker aus Kanada, ein Molkereiarbeiter aus Ostberlin, etliche unsortierte Existenzen, die in einer geheimnisvollen WG über einer ehemaligen Metzgerei hausen; und da wäre, viel zu selten, die Schönheit S. G. aus der Ortsverwaltung.

Während der mitreißenden Begegnung Türkei – Georgien hockten wir draußen auf einer Bierbank vor dem geöffneten Schiebefenster. Der betagte Grieche, der zugleich Deutscher sei, wie er ständig beteuert, stellte einen Rauchrekord auf. Neben mir saß der türkische Pizzabäcker, Automatenspieler und Wettnarr und kochte: »Diese Wichser! Diese verdammten Arschlöcher! Keine Disziplin!« Ich: »Die brauchen einen deutschen Trainer.« Er: »Diese verschissenen, arroganten Penner müssen erst mal ihre Mentalität ändern! Die brauchen deutsche Mentalität!«

»Malaka« und »Kurwa« sind hier die Pfingstwörter (immer mit Ausrufezeichen!). Während der Partie gegen Ungarn war es ruhig. Die Deutschland-Fahnen hingen schlaff an der Fassade. Stilgetreu Teller mit Chips und Salzgebäck. Die Glücksspielautomaten klingelten. Nebenherplaudereien. Der Dorfdimpfl lugte geistesabwesend auf die Straße. Der beste Witz des Abends: »Mir bringst a Wasser.«

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