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Aus: Ausgabe vom 22.06.2024, Seite 10 / Feuilleton
Fernsehsport

EM-Depesche (7)

Bisschen Rhythmus sammeln
Von Jürgen Roth
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Auf einem Bein stehen kann er beinahe auch: Julian Nagelsmann

Hans Magnus Enzensberger hatte nicht nur mit seiner These vom »Nullmedium« Fernsehen recht, sondern auch der Wahrheitsgehalt des Titels eines seiner Essaybände, »Mittelmaß und Wahn«, bestätigt sich täglich. Man müsste ihn jedoch ein wenig schärfer fassen: »Untermaß und Wahn« oder »Maßlosigkeit und Wahn« oder so ähnlich, Vorschläge aus der Leserschaft nimmt die Schreibwerkstatt Roth mit Kusshand entgegen.

Den persistenten Irrsinn brachte Manuel Neuer am Montag in einer Äußerung, die den Habermas erblassen lässt, nolens auf den »ominösen Punkt« (Kommentatorensperrmülldeutsch für Elfmeterpunkt): »Dann sprechen wir kurz kommunikativ was ab.«

Wem Insomnie vertraut ist, der pfeift sich ab 5.30 Uhr vielleicht das ARD-»Morgenmagazin« rein. Ich kenne da nichts, ich habe als Beobachter des zügellosen Treibens auf den Bildschirmen über die Jahre die Nehmerqualitäten eines Muhammad Ali und darüber hinaus eine gewisse Manie entwickelt, weil allein Hartnäckigkeit eine hinreichende empirische Basis der Urteilsbegründung garantiert. Oder mit Julian Nagelsmann zu quallen: »Wir müssen alle ’n bisschen Rhythmus sammeln«, und zwar wieder und wieder.

Und also saugste den Kaffee und den Rumpelrhabarberrhythmus des ARD-Frühstückssportdirektors Peter Großmann in dich hinein, eines schlechthin preisens- und preiswürdigen Mannes, der keinen einzigen elliptischen Satz hinbringt, ohne über die armen Silben und den ausgezuzelten Sinn zu stolpern, und nachweislich nicht einmal schnallt, wo man im Telefonbuch eine Vorwahl findet.

Kotzproben? Es genügen fünf: »Generell war die Frage: das erste Spiel immer ein ganz wichtiges.« – »Ist das schon deutschlandfähig jetzt?« – »­Neuer, der Mann, der viel diskutiert wurde.« – »Wieder ein Sieg, wenn er auch nicht dreinull ausging.« – »Da hätte man sich die Zunge geschnalzt.«

Umrahmt wird das vom WDR produzierte Vorschulklassenfernsehen von der Außenreporterin Lea Wagner, die prophezeit, »dass wir auch den zweiten Schritt in der Atmosphäre gehen«, und den zu gut bekannten Quietschgestalten Susan Link und Sven Lorig im Kölner Studio, »TV-Zombies« (Henscheid/Bernstein) par excellence, die den Befund der Infantilisierung des öffentlichen Diskurses aufs irisierendste untermauern und aufs unanständigste mit Winkelementen, Fähnchen, Brillen und Hüten herumkaspern.

Es ist eine Schande und die perfekte Scheiße, draußen (»Peter geht campen«) inszeniert auf einem mobilen Zeltplatz mit Holzzäunlein, »ironischen« Gartenzwergen und einem Playmobil-Stadion, und um den Braten final zu verkohlen, gammelt in diesem Giftsoziotop wie seit zirka 1836 Olaf »Begeisterung 2.0« Thon herum (­warum, das weiß niemand), quakt unbändig in den gebeutelten Kosmos hinaus (»Je mehr man sagt, verwässert viel«) und gibt seine »Expertisen« zum besten, etwa: »Man kann es so und so sehen. Entscheidend ist aufm Platz, wie Otto Rehhagel immer gesagt hat.«

Der, sorry to say, Adi Preißler hieß.

Ich gönne mir jetzt ’ne Portion King’s X, zuvörderst »Flood Pt. 1« und »Swipe Up« vom Album »Three Sides of One«. Bam bam bam bam!

See ya, fuckers!

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (24. Juni 2024 um 19:32 Uhr)
    Insomnie = senile Bettflucht? Um halb Sechs gehe ich schon wieder ins Bett. Darf ein Satz auch rund sein? Ein Kreis ist schließlich auch nur eine Ellipse, bei der die Brennpunkte mit dem Mittelpunkt zusammen fallen.

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