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Aus: Ausgabe vom 24.06.2024, Seite 5 / Inland
Stadtentwicklungspolitik

Bayer plant Abriss

Berlin: Pharmariese will günstigen Wohnraum plattmachen. Linke präsentiert Gutachten auf Erhalt
Von Oliver Rast
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Der Pillendreher will sich räumlich ausweiten, ein Areal mit günstigem Wohnraum in einen Gewerbecampus umwandeln

Politisch, rechtlich, aktivistisch – in der Kombination klappt es vielleicht. Auch, einen Pharmamulti mit einem Jahresumsatz von knapp 50 Milliarden Euro in die Knie zu zwingen, zumindest einen Punktsieg zu erringen. Gegen die Bayer AG. Genau das versuchen Bewohner aus dem Weddinger Mettmannkiez in Berlin. Bereits seit Jahren kämpfen sie für den Erhalt von 140 Wohnungen in mehreren Altbauten in der Fenn- und Tegeler Straße. Wohnraum zu vergleichsweise günstigen Mieten.

Eigentümerin ist eine Bayer-Tochtergesellschaft – und die hat für vier Wohnhäuser Abrissanträge gestellt bzw. den Abriss beim zuständigen Bezirksamt Berlin-Mitte angezeigt. Der Bezirk hat jene gebilligt; sprich, hält das Plattmachen bau- und zweckentfremdungsrechtlich für rechtmäßig. Die Begründung: Der Wohnnutzung fehle die bauplanrechtliche Grundlage. Richtig ist, im Flächennutzungsplan Berlin ist das Wohnquartier als »gewerbliche Baufläche« ausgewiesen. Alles rechtens also? Wohl nicht.

Denn nun gibt es ein 29seitiges Rechtsgutachten, das jW vorliegt. Auftraggeberin ist die Fraktion Die Linke in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Berlin-Mitte. Kernaussage: Entgegen der bisherigen Interpretation des Bezirksamtes ist besagter Wohnraum »schützenswert« im Sinne des Zweckentfremdungsverbotgesetzes (ZwVbG). »Zweifelsfrei«, zumal für die Mehrzahl der Gebäude Baugenehmigungen (»Bauerlaubnisscheine«) aus der Zeit zwischen 1878 und 1884 vorliegen, haben die Gutachter recherchiert. Und auch wenn diese nicht vorlägen, »entfiele die rechtliche Eignung zu Wohnzwecken nicht zwangsläufig.« Denkbar wäre etwa, dass der Eigentümer eine Befreiung von den Festsetzungen des Baunutzungsplans erteilt. Zugunsten gesicherter Unterkünfte für Hunderte Mieter, oftmals alteingesessenen.

Hinzu kommt: Bayer habe die Einheiten selbst jahrelang zu Wohnzwecken vermietet und daraus entsprechende Einnahmen erzielt, schreiben die Gutachter. »Von daher erschiene es treuwidrig, wenn Bayer sich jetzt auf den Standpunkt stellen würde, es handele sich rechtlich nicht um Wohnraum.« Fraglich, ob das die Konzernbosse interessiert. Eigenen Angaben zufolge plant Bayer auf dem potentiellen Abrissareal einen Produktionsstandort mit bis zu 1.500 Arbeitsplätzen. Aber: Bereits 2016 ließ der Pharmakonzern drei Gebäude in dem Wohnquartier dem Erdboden gleichmachen. Für ein neues Verwaltungsgebäude. Gebaut wurde es indes nie.

Falls sich der Konzern durchsetzen sollte, bliebe zu klären, so die Gutachter, »ob und wie der Bezirk den Rückbau sozialverträglich steuern bzw. die damit verbundenen nachteiligen Wirkungen für die Bewohner abfedern könnte«. Eine Option: Ein Sozialplan für die Bewohner gemäß einer »Umstrukturierungsverordnung«, erlassen durch den Bezirk. In dem Falle müsste festgeschrieben werden, »dass den Mietern vergleichbare Wohnungen zu bezahlbaren Preisen angeboten werden«, erläuterte die wohnungspolitische Sprecherin der Linke-BVV-Fraktion, Martha Kleedörfer, am Samstag gegenüber jW. Auf Kosten von Bayer, versteht sich.

Bei der BVV-Sitzung am vergangenen Donnerstag brachte die Linksfraktion Rechtsgutachten samt Antrag auf Erhalt der Häuser bzw. einen Sozialplan für die Bewohner ein. Beides wurde zur Beratung an den Ausschuss für Soziales, Arbeit, Bürgerdienste und Wohnen überwiesen. Die Ausschussmitglieder befassen sich im Juli damit. Von diesem Prozedere abgesehen, der Clinch bleibt: Mieter gegen Pharmariese. Gleichfalls bleibt die Prämisse: Abrissstopp, bezahlbare 140 Wohnungen schützen. Kleedörfer: »Das Bezirksamt muss jetzt das Ruder rumreißen!«

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