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Aus: Ausgabe vom 26.06.2024, Seite 1 / Titel
Free Assange!

Assange frei, Presse nicht

Wikileaks-Gründer bekennt sich schuldig und verlässt Gefängnis. Freude, aber auch Unbehagen in der Solidaritätsbewegung
Von Dominik Wetzel
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Wikileaks-Gründer Julian Assange wird in einem Flugzeug aus der britischen Hauptstadt ausgeflogen

Kaum zu glauben war, was Nachrichtensprecher am Dienstag morgen verkündeten: Julian Assange hat das britische Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London verlassen. Als sich die Bilder verbreiteten, auf denen der Wikileaks-Gründer ohne Handschellen ins Flugzeug in Richtung Pazifik steigt, ging ein Aufatmen um die Welt. Zahlreiche Unterstützer, Politiker, Aktivisten und Presseleute feierten die Freiheit des Journalisten. Wikileaks erklärte via X, dass er das Gefängnis bereits am Montag morgen verlassen habe.

Sieben Jahre lang hatte Assange in der beengten ecuadorianischen Botschaft in London verbracht, bevor er am 11. April 2019 von der britischen Polizei verhaftet und für 1.901 Tage in eine zwei mal drei Meter kleine Zelle für 23 Stunden am Tag eingesperrt wurde. Seither war seine Stimme verstummt.

»Julian Assange ist dank unermüdlicher internationaler Solidarität frei«, erklärte Sevim Dagdelen, außenpolitische Sprecherin des BSW und aktiv in der Solidaritätsbewegung für Assange, erleichtert. »Unvergessen« bleibe jedoch, »dass die USA und die NATO-Staaten insgesamt den Journalisten seit 2010 seiner Freiheit beraubt und ihn mehr als fünf Jahre im britischen Hochsicherheitsgefängnis für seine investigative Arbeit eingekerkert haben«. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) habe laut Dagdelen »mit ihrem mangelnden Engagement keinen Beitrag zur Freilassung von Julian Assange geleistet und so den US-Angriff auf die Pressefreiheit flankiert«.

Trotz der Freude über die gute Nachricht bleiben Bedenken. Bevor Assange zu seiner Familie nach Australien zurückkehren kann, muss er sich noch auf die bei Guam liegende US-Kolonie Saipan begeben, um sich dort vor einem US-Richter schuldig zu bekennen. Seine Unterstützer wollen seit Jahren verhindern, dass er US-Territorium betreten muss. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft bzw. die Todesstrafe. Gang und gäbe ist, dass Strafverteidiger und Anklage die Details ihrer Deals bereits vor dem Gerichtstermin aushandeln. Der 52jährige wird sich offensichtlich in einem einzigen Anklagepunkt, dem der Verschwörung zur Beschaffung und Weitergabe von geheimen US-Verteidigungsdokumenten, schuldig bekennen. Assanges »Vergehen«: Er hatte mit Hilfe der Whistleblowerin Chelsea Manning, Angehörige der US-Streitkräfte, Zehntausende Dokumente zu Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan – unter anderem Videoaufnahmen aus einem US-Kampfhubschrauber unter dem Titel »Collateral Murder« – veröffentlicht.

Es wird erwartet, dass Assange bei der Anhörung zu 62 Monaten Haft verurteilt wird, die er bereits verbüßt hat. »Ich fühle mich beschwingt. Allerdings mache ich mir auch Sorgen, weil ich das so gewohnt bin, dass alles passieren kann«, erklärte seine Frau Stella am Dienstag gegenüber Reuters: »Aber es sieht so aus, als hätten wir es geschafft.« Ähnlich zwiegespalten zeigte sich am Dienstag auch Jérémie Zimmermann, langjähriger Wegbegleiter und Freund Assanges: »Es ist ein Grund zum Feiern.« Allerdings gebe es »auch Gründe, besorgt zu sein«. Die Vereinbarung könne eine Menge ungerechter Klauseln wie z.B. ein Redeverbot enthalten, erklärt er. Außerdem sei das Schuldbekenntnis ein »starkes politisches Signal, um weitere journalistische Bemühungen wie Wikileaks einzuschränken«.

Stella Assange, die einst Teil seines Anwaltsteams war, sagte Reuters, »ein Schuldgeständnis unter dem Spionagegesetz in bezug auf die Beschaffung und Weitergabe von Informationen« sei für »Journalisten, die sich mit der nationalen Sicherheit befassen, im allgemeinen ein sehr ernstes Problem«. Der ehemalige US-Geheimdienstdirektor James Clapper, zu dessen Amtszeit die geheimen Dokumente veröffentlicht wurden, sagte im Interview mit CNN, Julian Assange habe »seine Schuldigkeit getan«.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (26. Juni 2024 um 12:58 Uhr)
    Das Problem heute ist nicht der Mangel an Informationen, sondern deren Erfassung, Verarbeitung, Interpretation, die Fähigkeit, aus dem Chaos der Zeit eine verständliche Geschichte herauszuarbeiten. Das Problem ist nicht einmal die Geheimniskrämerei der Ministerien, sondern Desinformanten, die in den Netzwerken unendlich viel Ballast verbreiten, den die Öffentlichkeit nicht verstehen kann. Julian Assange kehrt in die Freiheit zurück, in eine Welt, die durch die Bemühungen von WikiLeaks kaum besser geworden ist. Im Gegenteil, der Hacker öffnete paradoxerweise die Tür zu einer Situation, in der eine Informationsflut ohne Interpretation und Kontext zu einem allgemeinen Verlust des Verständnisses der Welt führt. Der Fall Assange verheißt nichts Gutes für die Zukunft der Pressefreiheit: »Es ist schwer, nicht von der Anklage des US-Justizministeriums erschüttert zu sein, zu der sich Assange schuldig bekennen musste, damit er seine Freiheit erlangen kann. Man stelle sich vor, was ein Generalstaatsanwalt einer zweiten Trump-Administration denken wird, der weiß, dass es bereits ein Schuldeingeständnis nach diesem Spionagegesetz gegeben hat. Das Justizministerium bestand darauf, ihn nach dem Spionagegesetz für journalistische Handlungen zu verurteilen, was viele Reporter dem gleichen Risiko aussetzen wird. Jetzt und zukünftig kann man nur hoffen, dass dieser Fall eine Ausnahme ist und kein Vorbote für das, was noch kommen könnte oder eben wird.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (26. Juni 2024 um 07:23 Uhr)
    Ja, es ist ein Sieg internationaler Bemühungen und der Solidarität. Dass Julian sich der Spionage schuldig bekennen musste, um sein eigenes Leben zu retten, ist ein Wermutstropfen. Jedoch zeigt sich gleich wieder die wertegeleitete Doppelmoral. In Russland wird der US-amerikanische Journalist Evan Gershkovich vor Gericht gestellt. Der Vorwurf: Spionage. Der »Wertewesten« schreit schon wieder rum wegen Verletzung der Menschenrechte und der Pressefreiheit. Aber eines darf man nicht vergessen: Julian Assange saß über fünf Jahre in Belmarsh – ohne Verhandlung und ohne Urteil. Da wird der Vorwurf der Verletzung der Menschenrechte nicht laut. Gershkovich ist an einem Panzerwerk in Jekaterinburg beim Fotografieren erwischt worden. Hier ist der Vorwurf der Spionage zumindest strafrechtlich richtig und wird nun durch ein Gericht geprüft. Auch in Deutschland würde ein russischer Journalist bei solchen Vergehen wegen Spionage vor Gericht gestellt werden. Schon bei diesen beiden Fällen zeigt sich die Heuchelei und die Doppelmoral. Vor dem Gesetz sind alle gleich – nur manche sind eben gleicher.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (25. Juni 2024 um 20:41 Uhr)
    Ich habe mir mehr Infos und Analyse jW erwartet. Im Gegensatz zu den meisten Medien beleuchtet die jW jedoch auch die Risiken für Julian und die Medien. Meine Befürchtung ist, dass die USA im letzten Moment die »Vereinbarung« (die sehr schlecht für Assange ist) brechen, und ihn von Saipan in die USA entführen. Apropos »Deal«: es ist natürlich leicht, diese »Vereinbarung«, die unter Zwang mit der USA Justiz zustande gekommen ist zu kritisieren, wen man nicht über 12 Jahre ungerechtfertigt verfolgt wurde und über 5 Jahre in Isolationshaft saß. Die USA und ihre Marionetten Schweden und GB haben erreicht, dass sich Julian schließlich für schuldig erklärt, obwohl er kein einziges Verbrechen begangen hat. Heißt, er ist ein »Krimineller« und wird verurteilt. Nie hatte Wikileaks mit der Veröffentlichung der Kriegsverbrechen der USA deren Sicherheit gefährdet. GB und Schweden haben ihre Rechtssysteme untergraben und die Justiz politisiert. Julian und sein Team, die wichtige Informationen veröffentlicht hatten, wurden angeklagt und die eigentlichen Verbrecher sind weiterhin unbehelligt.

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