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Aus: Ausgabe vom 26.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Talk mit Toten

Himmel und Hölle: Hans Blocks und Moritz Riesewiecks Dokumentarfilm »Eternal You«
Von André Weikard
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Wir basteln uns einen Avatar (Filmszene)

Für Oma ist es leider zu spät. Sie hatte nie ein Smartphone, nicht mal einen Computer. Also auch keinen digitalen Nachlass. Aber alle anderen können nun damit rechnen, ewig zu leben. Das verspricht jedenfalls eine ganze Industrie von Startups, die mit künstlicher Intelligenz, virtueller Realität und viel Kapital daran arbeitet, aus Datenresten Tote zum Leben zu erwecken. Klingt gruselig. Ist es auch.

Die Berliner Dokfilmer Hans Block und Moritz Riesewieck haben für ihren Film »Eternal You« zum Beispiel Christi vor die Kamera bekommen. Die lässt sich auf einen Chat mit ihrem verstorbenen Freund Cameroun ein. Ein Chatbot mit seinen Eigenschaften wurde modelliert aus Daten des Toten. Die KI imitiert Camerouns Art zu schreiben, das Vokabular, die Kosenamen für Christi. Sie versucht sich an seinem Humor und greift auf Informationen zurück, welche Musik Cameroun ­hörte, welche Freunde er hatte und wo er arbeitete. Die moderne Séance verläuft zunächst auch wie erwartet. Mit der Treffergenauigkeit eines Horoskops fabuliert der Chatbot darüber, dass es ihm gut gehe. Bis Christi fragt, wen er denn getroffen habe. »Hauptsächlich Drogenabhängige«, schreibt Cameroun ungerührt. Auf ihr ungläubiges: »Im Himmel?« antwortet er dann auch: »Ich bin nicht im Himmel. Ich bin in der Hölle.« Und Christi ist bedient. Rechner aus.

Andere Unternehmen simulieren die Stimmen der Toten und lassen sie zu Angehörigen sprechen oder bauen Avatare, die in der virtuellen Realität mit den Trauernden zusammenkommen. Besonders befremdlich ist unter diesen Beispielen die koreanische TV-Show »Meeting You«, in der eine Mutter auf die Animation ihres toten Kindes trifft. Die junge Frau mit riesiger VR-Brille auf dem Kopf steht vor einem Greenscreen, aus dem sich auf Knopfdruck eine maximal-verkitschte rosa Welt voller Luftballons erhebt. Und dann kommt das Abbild ihrer Tochter hereingetänzelt. Es entsteht tatsächlich ein ergreifendes Bild. Denn die Mutter will natürlich ihr Kind umarmen, geht in die Knie, streckt die Arme aus – und greift ins Leere. Wieder und wieder. Die gelungene Simulation kippt unmittelbar in die schmerzhafte Erkenntnis, dass die Siebenjährige eben nicht da ist, unwiederbringlich tot bleibt.

Die unterschiedlich gelungenen Illusionen hinterlassen allesamt einen bitteren Beigeschmack. Der verstärkt sich im Film, wenn die Macher der Industrie zu Wort kommen. Zyniker wie der Spieledesigner Jason Rohrer, der den »Gruselfaktor« mag, wenn er Chats mit Toten liest und die Technologie auch dann noch gut findet, wenn herauskommt, dass sie gelegentlich ausfällig wird und Trauernde auch mal mit den Worten beschimpft: »Fick dich, du verdammte Schlampe, das wirst du büßen.«

Oder Justin Harrison, Gründer von »You, Only virtual«, der sich von seiner Frau scheiden lässt, als sie ihn vor die Wahl stellt, zwischen dem makaberen Business und ihr. Und der dennoch auf die Bühne tritt und Vorträge hält, wie sehr ihm daran gelegen ist, Beziehungen zwischen Menschen mit seiner Technologie aufrechtzuerhalten.

»Eternal You« ist bemüht, ausgewogen auf die skurrile Industrie zu blicken. Verschiedene Tech-Experten spekulieren über Ähnlichkeiten der digitalen Jenseitskultur mit religiösen Vorstellungen, nennen den Hokuspokus »Wiedergeburt an einem anderen Ort«. Auch Amazon und Microsoft hätten bereits Patente zugelassen auf das Konservieren von Persönlichkeiten. Die Mutter-trifft-totes-Kind-Show aus ­Korea sei bereits nach Japan und Taiwan verkauft worden. Ein US-Ableger ist nur noch eine Frage der Zeit.

Und selbst Christi, die ihren toten Freund so ungern in der Hölle wissen wollte, versöhnt sich mit der Cameroun-KI. Nach reiflichem Nachdenken schwenkt die um und gibt an, sie sei nun »an einem besseren Ort«. Was verglichen mit der Hölle freilich nicht viel heißen will. Christi genügt das. Sie weint vor Erleichterung. Es ist das eigentlich frappierende an dieser Doku, wie vielen Menschen es egal zu sein scheint, dass es sich bei allem, was sie da serviert bekommen, um eine plumpe Manipulation handelt. Und dass sich jemand mit dem Verkauf von Lügen skrupellos an ihrem Schmerz bereichert. Aber das ist ja bei den Religionen alter Bauart nicht anders.

»Eternal You«, Regie: Hans Block, Moritz Riesewieck, BRD/USA 2024, 87 Min., bereits angelaufen

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