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Aus: Ausgabe vom 26.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kunst

Ausgelächelt, Mona Lisa

Was Großvater noch wusste: Hans Traxlers kleine große Kunstgeschichte »Wie die Malerei verschwand«
Von Stefan Gärtner
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Alter Meister: Hans Traxler

Wenn diese Rezension mit einem Hinweis auf das Alter des Künstlers beginnt, dann keinesfalls deshalb, um herablassenderweise um Nachsicht zu werben mit einem großen Mann und Mitbegründer der Neuen Frankfurter ­Schule, der eben 95 geworden ist und sich zum Geburtstag ein Buch geschenkt hat. Nein: Hier sei (mit einem nachgeholten Glückwunsch übrigens) auf die 95 aufmerksam gemacht, weil der besondere Charme dieses Buchs darin liegt, dass es weiß, dass es nicht mehr berührt werden kann. Denn hier sieht jemand von sehr weit oben – als nämlich sehr weit hinten – auf die Dinge; und es ist, als spreche großväterliche Weisheit selbst, unberührbar von schlechtgelaunten, humorlosen Einwänden.

Im Jahr 2068, die Erde ist nicht leer, aber wüst und viel zu warm, zerstört eine bislang unbekannte, handtellergroße Riesenmotte die Kunst der Welt, frisst sich durch den Louvre, die Tate Gallery und die Uffizien, und 5.000 Jahre Kunstgeschichte sind dahin. Nun wohnt jedem Ende auch ein Anfang inne, und möglicherweise ist es sogar eine Art Befreiung, wenn noch einmal alles von vorn beginnen kann, mit dem Büffel an der Höhlenwand sozusagen. Nur stellt sich heraus, dass kein Mensch mehr einen solchen Büffel malen kann, also auch niemandem beibringen, wie das geht, einen Büffel malen, und das letzte Bild, das die Menschheit kennenlernen wird, ist die Malerei eines Kindes im Sand, die vom Meer, dessen Spiegel stetig steigt, ins Nichts zurückgeholt wird.

Im Titel steckt das ganze Buch. »Wie die Malerei verschwand. Eine Kunstgeschichte«, und es fällt nicht schwer, den doppelten Boden zu sehen. Geschichte wird erzählt, wenn sie vergangen ist, und dass die Malerei verschwinde, indem sie sich in der Abstraktion, im Verlust aller figurativen Fähigkeit wie in Kunst als ironischer und Meta-Angelegenheit verliere, ist die Übersetzung der Lesart, dass Natur das letzte Wort hat. Das Kunststück ist, dass das in keiner Sekunde beleidigt oder gar reaktionär klingt, allenfalls melancholisch. Noch unpolemischer kann ein Buch nicht verfasst sein, und selbst der kleinen Satire auf die antikolonialen Kunstdiskurse der Gegenwart eignet nichts Scharfes. Es geht, und das ist die Einsicht eines Erzählers, der das meiste gesehen hat, ohnehin alles zu Ende, und dass die Mona Lisa im Zweifel standhafter ist als das, was heute oder übermorgen im Feuilleton verhandelt wird, versteht sich gerade dann, wenn vom Ende auch dieser Dinge die Rede ist.

In einer Nachbemerkung erzählt der Sammler Traxler vom inspirierenden Mottenfraß an einem Landschaftsbild Fritz Wucherers (1873–1948), eines Malers, der aus der Kronberger Malerschule stammt und die Leute mit den Handys heute eher nicht anzieht. Die Kunst-Geschichte, die Traxler natürlich mit Traxlerschen, passend sepiafarbenen Vignetten versehen hat, ist, im strengen Gegensatz zu dem, was Kunst für die Leute mit den Handys ist, eine des persönlichen Glücks, und wer Lust hat, erkennt in der Coda eine Reflexion über die Dialektik von Geist und Natur, ist Kunst doch der seltene Fall, dass sich Instrumentalität nicht gegen Natur richtet, sondern sie als Besseres, Friedliches zurückspiegelt: »Nachdem alle Gifte, welche die chemische Industrie bereithält, immer nur temporär gewirkt hatten, waren es schließlich die Schlupfwespen, die ihrerseits die Motteneier fraßen, die Bilder retteten und uns von dieser jahrelangen Plage befreiten. Seit dieser lautlosen und unsichtbaren Schlacht, die da an meiner Atelierwand tobte – tatsächlich sind diese Wespen so winzig, dass ich auch mit der Lupe nie eine gesehen habe – ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht vor Wucherers Bildern stehe, ihre Ruhe und Magie auf mich wirken lasse und der mutigen kleinen Kameraden in Dankbarkeit gedenke, die alle für die gute Sache gestorben sind, als es keine Motteneier mehr gab. Und dann, eines Tages, setzte ich mich hin und schrieb diese Geschichte.«

Die den Tod der Kunst natürlich in Kunst ummünzt; denn die ist, lesen wir, auch wenn es gar nicht dasteht, halt doch unsterblich.

Hans Traxler: Wie die Malerei verschwand. Eine Kunstgeschichte. Edition Tiamat, Berlin 2024, 96 Seiten, 26 Euro

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