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Aus: Ausgabe vom 27.06.2024, Seite 5 / Inland
Verkehrspolitik

Osten wird abgekoppelt

Deutsche Bahn plant weitere Fahrpreiserhöhungen und Einstellung von IC-Verbindungen, vor allem in neuen Bundesländern. Entsetzen bei Verbänden
Von Ralf Wurzbacher
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Ein Zug nach nirgendwo: Zahlreiche Orte in ostdeutschen Landen steuern die IC der Bahn nicht mehr an (Leipzig, 10.12.2018)

Die Deutsche Bahn (DB) will im großen Stil in die marode Infrastruktur investieren. Damit auf der Schiene wieder störungsfrei verkehrt werden kann. Das ist der Plan. Was tut der Staatskonzern, um das zu schaffen? Er stellt zahlreiche Verbindungen ein, vornehmlich in Ostdeutschland, womit dort dann noch weniger Züge rollen. Wie am Mittwoch der Spiegel in seiner Onlineausgabe berichtete, soll im kommenden Jahr das Intercity-Angebot bundesweit empfindlich reduziert werden. Das geht aus einem vertraulichen Schreiben der DB an die Bundesnetzagentur hervor, das dem Magazin zugespielt wurde. Trifft dies zu, werden künftig mehrere Städte vom Schnellbahnnetz abgekoppelt und nur mehr durch Regional- und S-Bahn-Züge angesteuert. Betroffen wären vor allem die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.

»Das passt ins Bild einer ohne Kurs und politischen Auftrag schlingernden Bahn und ist das genaue Gegenteil zu dem, was wir brauchen«, beklagte gestern Heiner Monheim, Sprecher der Denkfabrik »Bürgerbahn«. Nach der Abwicklung des Interregio als »optimaler Zuggattung für mittlere Strecken« vor rund 20 Jahren sei dies der »nächste verheerende Schritt, um ganze Regionen abzuhängen«, äußerte er gegenüber junge Welt. Auf der Streichliste stehen laut Spiegel drei IC-Linien: die 61 von Karlsruhe nach Leipzig, die 51 zwischen Gera und Köln sowie die 56, die von Norddeich Mole nach Leipzig führt. Überdies sollen künftig in der Nebensaison deutlich weniger ICE nach Stralsund an der Ostsee fahren. Die ebenfalls angedachte Einstellung der IC-Verbindung von Dresden nach Rostock konnte hingegen offenbar durch politischen Druck vereitelt werden.

Besagtes Papier stammt bereits vom 1. Februar, entspricht aber wohl nach wie vor dem Planungsstand. Begründet werden die Maßnahmen darin mit der schwachen Auslastung der fraglichen Abschnitte, die einen wirtschaftlichen Betrieb nicht mehr möglich machten, sowie die nötigen Sparanstrengungen. Auslöser des Kahlschlags sind vor allem die sich drastisch verteuernden Trassenpreise, die öffentliche wie private Eisenbahnunternehmen der neuen DB-Netz-AG Infra-GO überweisen müssen, alle DB-Gesellschaften inbegriffen. Die Infra-GO hat sich kürzlich erst durch die Bundesnetzagentur für 2025 Zuschläge bei der sogenannten Schienenmaut von 17,7 Prozent im Fernverkehr genehmigen lassen. Zuletzt hatte die Bundesregierung die Trassenentgeltförderung auch noch gekürzt, in Reaktion auf das fatale Karlsruher Haushaltsurteil.

Überhaupt war mit Entscheid des Bundesverfassungsgerichts plötzlich das ganze Finanzierungskonzept zur Bahn-Ertüchtigung hinfällig und es fielen etliche Milliarden Euro dem Rotstift zum Opfer. Die fürs laufende Jahr vorgesehenen 5,5 Milliarden Euro müssen nun über eine Eigenkapitalerhöhung realisiert werden. Ein Passus des Eisenbahnregulierungsgesetzes verlangt jedoch, dass mit dem frischen Staatsgeld auch die Einnahmen steigen müssen, eben durch Erhöhung der Trassenpreise, was die Infra-GO dann auch prompt veranlasste, in einer historisch nie dagewesenen Dimension. Die DB Fernverkehr stelle dies »in der Tat vor erhebliche Herausforderungen«, sagte ein Konzernsprecher dem Spiegel. Bleibe es dabei, »dann sind Angebotsreduktionen und auch eine Erhöhung der Ticketpreise unumgänglich«.

»Das alles ist ein Stück aus dem Tollhaus«, findet »Bürgerbahn«-Sprecher Monheim. »Der ungebremste Abbau von Angeboten bei ungebremst steigenden Preisen ist ein Totalschaden bei den Erforderlichkeiten der Klima- und Verkehrswende.« Empört zeigte sich gestern auch Carl Waßmuth vom Bündnis »Bahn für alle«. Man erlebe hier den »absurden Mechanismus der gewinnorientierten Bahn, nicht nur in dieser Sache, sondern flächendeckend und seit 30 Jahren«, bemerkte er im jW-Gespräch. Dabei gehe es »längst nicht mehr nur um die Bahn, die Zerstörung der Daseinsvorsorge setzt unsere Demokratie als Ganzes aufs Spiel«. An die Koalition appellierte der Aktivist: »Stoppt den Wahnsinn, macht die DB gemeinnützig. Dann könnt ihr das Geld geben, um damit Strecken auszubauen und die Preise zu senken.« Die Ampel hat bestimmt Wichtigeres zu tun.

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (27. Juni 2024 um 10:18 Uhr)
    Politisch betriebene »Zerstörung der Daseinsvorsorge« – genau das ist es in letzter Konsequenz! Somit ist für jeden erkennbar, wer die zahlreichen Verlierer dieser Destruktionspolitik sind. Wer aber sind die Gewinner? Diese immer wieder zu benennen und öffentlich anzuklagen, das ist die genuine Aufgabe und Verantwortung von Journalismus, der dieser aber leider nicht nachkommt. Missstände immer wieder nur zu benennen, nicht aber deren Verursacher in die persönliche Verantwortung zu nehmen (wie z. B. im Falle Andreas Scheuer) führt langfristig lediglich zu Gewöhnungseffekten, Abstumpfungserscheinungen sowie allgemeiner Politikverdrossenheit, nicht aber zu irgendwelchen Änderungen oder gar Verbesserungen.
  • Leserbrief von B. S. aus Ammerland (27. Juni 2024 um 09:56 Uhr)
    Das Schöne an der Deutschen Bahn ist ja – wenn du die Bahn um 14.30 Uhr verpasst, kannst du immer noch die von 13.30 Uhr Uhr nehmen oder … Deutsche Bahn am Black Friday: Heute bis zu 60 Prozent weniger Züge und 30 Minuten Verspätung gratis obendrauf! Und natürlich, die Dobrindt-Scheuer-Wissing-Bande plante noch nie für die Gesellschaft, die Fahrgäste! Big Money kommt von VW, Audi, BMW, Porsche und Mercedes und nicht vom Steuerzahler! Und außerdem: Wer will schon im Osten leben? Da sind doch nur AfD-Wähler zu Hause und die brauchen wir nicht. Und deshalb ist weniger manchmal mehr. Mein Tipp: Baut die Schienen im Osten ab und verklappt diese in die Ukraine. Da werden dringend Panzerzüge benötigt! Und das die Ostdeutschen auch ohne Bundesbahn rechts wählen ist doch klar.

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