Nächster General gefeuert
Von Reinhard LauterbachDer ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat den nächsten ranghohen Kommandeur entlassen. Am Montag berief er den Befehlshaber der Armeegruppe Chortizja, General Jurij Sodol, ab. Damit reagierte er auf zuletzt angewachsene Kritik an Sodols Amtsführung. Frontkommandeure auf Bataillons- und Brigadeebene hatten ihm in öffentlichen Stellungnahmen vorgeworfen, mit dem Verbot von Rückzügen die Truppen zu verheizen. Sodol habe »mehr ukrainische Soldaten auf dem Gewissen als jeder russische General«, schrieb in einer Protestadresse ein Vertreter der Neonazitruppe »Asow«. Seine Intervention war dem Anschein nach das für die Entlassung Sodols ausschlaggebende Element. Passend zu den Kritiken von der Front postete die der Präsidentenpartei »Diener des Volks« angehörende Abgeordnete Marjana Besugla Fotos davon, wie Sodol angeblich zu dem Zeitpunkt eines russischen Durchbruchs im Donbass in Odessa in einem Restaurant »gesoffen« habe.
Ob die Entlassung des Kommandeurs geeignet ist, die Stimmung in der Truppe zu heben, muss sich zeigen. Selenskij kündigte am Mittwoch bei einem Besuch in der frontnahen Stadt Pokrowsk auch Umbesetzungen in der Regierung an. Hohe Beamte sollten aus dem relativ sicheren Kiew für jeweils ein halbes Jahr in frontnahe Städte versetzt werden, damit sie die Situation dort mit eigenen Augen erleben und verstehen könnten, was die Menschen vor Ort benötigten. Die Ankündigung hörte sich eher nach Verwaltungschaos mit Ansage an.
Derweil ist die neue russische Offensive im Zentrum des Donbass seit einigen Tagen im Gang. Sie dient offenbar dem Ziel, die Frontlinie von der häufig beschossenen Großstadt Gorlowka nördlich von Donezk abzudrängen. Bisher haben die russischen Truppen hier mehrere Dörfer eingenommen. Sie stoßen auch nordwestlich des vor einigen Wochen eroberten Otscheretine vor, um eine für die Versorgung des nördlich gelegenen und hart umkämpften Tschassiw Jar wichtige Straßenverbindung zu unterbrechen. An der Front im Gebiet Saporischschja haben die russischen Truppen inzwischen alle Dörfer zurückerobert, die die Ukraine im Zuge ihrer Sommeroffensive 2023 unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Im Frontabschnitt vor Charkiw demonstrierte Russland vor einigen Tagen mit einem Angriff auf ein Objekt in dem frontnahen Dorf Lipzi eine neue überschwere Gleitbombe mit einem Gesamtgewicht von drei Tonnen, davon 1,2 Tonnen Sprengstoff.
Auch die russischen Angriffe auf ukrainische Kraftwerke gehen derweil weiter. Ein leitender Mitarbeiter des Kraftwerksbetreibers DTEK sagte auf einer Veranstaltung in Kiew, die Ukraine sei nicht in der Lage, alle Kraftwerke zu verteidigen, weil Russland fünf- bis zehnmal so viele Raketen einsetzen könne wie die Ukraine zu deren Abwehr. Selenskij hatte vor einigen Tagen erklärt, von der Vorkriegskraftwerkskapazität von 55 Gigawatt seien heute noch elf betriebsfähig.
Auf einem Gebiet kann die Ukraine aber Erfolge erzielen: bei Angriffen auf russische Frühwarnradars. Am Montag berichtete das ZDF, nach dem Beschuss mit mehreren US-amerikanischen Langstreckenraketen des Typs »Atacms« sei eine für die Kommunikation mit russischen Satelliten im All wichtige Funkstation auf der Krim schwer beschädigt worden. Es wäre bereits der dritte solche Angriff innerhalb weniger Wochen. Und während die Ukraine die ersten Attacken noch damit begründet hatte, dass die angegriffenen Objekte Feuerleitaufgaben für die Kämpfe an der Front erfüllt hätten, gilt dies für die jetzt zerstörte Anlage nicht. Der Angriff ist – zumal er mit Raketen aus US-Fertigung geführt wurde – eher ein Hinweis darauf, in wessen Interesse die Ukraine diesen Krieg führt.
Über dem Schwarzen Meer sollen russische Truppen dagegen nach offiziell nicht bestätigten Berichten russischer Medien eine US-Spionagedrohne vom Typ »Sky Hawk« zum Absturz gebracht haben. Ob dieser Vorfall der Anlass war oder nicht: Am Mittwoch wurde gemeldet, dass US-Verteidigungsminister Lloyd Austin mit seinem russischen Kollegen Andrej Beloussow telefoniert habe – das erste Mal seit dem Frühjahr 2023. Man sei sich einig gewesen, dass Kommunikationskanäle offengehalten werden müssten, hieß es nach dem Gespräch in Washington.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (28. Juni 2024 um 11:53 Uhr)Wenn der ukrainische General Sodol dafür gefeuert wurde, dass er Rückzüge verboten habe, dann sollte man auch mal fragen, wer dieses Verbot von Rückzügen seinerzeit gegen den General Saluschnij vertreten hatte. Das war nämlich Selenskij (jW vom 6.2.24 auf der ersten Seite). Sollte man den Herrn Selenskij da nicht viel eher entlassen als den Herrn Sodol?
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