75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Dienstag, 2. Juli 2024, Nr. 151
Die junge Welt wird von 2819 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 27.06.2024, Seite 8 / Inland
Entzug der Gemeinnützigkeit

»Vereine so in Unsicherheit zu halten, ist dramatisch«

Kampf um Reform des Gemeinnützigkeitsrechts: Auslegung hängt an einzelnen Beamten. Ein Gespräch mit Stefan Diefenbach-Trommer
Interview: Gitta Düperthal
imago0097074567h.jpg
Zahlreiche liberale Vereine sind für ihre Finanzierung auf steuervergünstigte Spendenzahlungen angewiesen. Protest von Change.org in Berlin

Mehr als 100 Vereine fordern in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, den Einsatz für demokratische Werte, Antidiskriminierung etc. endlich als gemeinnützig anzuerkennen. Sonst könnte eine nach Wahlen gestärkte AfD nämlich dasselbe tun wie bisher CDU und andere Bürgerliche: Das Gemeinnützigkeitsrecht nach der rechten Ecke ausprägen. Wie ist die Lage?

Ziel ist nicht etwa, das Recht nach parteipolitischen Forderungen auszurichten. Es geht um das Engagement der Vereine für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Grundrechte, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und andere immer wieder einfordern. Das ist vom Recht auf Gemeinnützigkeit nicht gedeckt. Klares und eindeutiges Recht muss das Tor für autoritär und konservativ geprägte Auslegungen schließen. Das veraltete Gemeinnützigkeitsrecht atmet eher den Geist der 1960er und früher, als dass es einer modernen Demokratie im 21. Jahrhundert entspräche. Wir erleben, dass Menschen in den Finanzämtern die Gemeinnützigkeit im Einzelfall sehr unterschiedlich beurteilen: Weil man sich des veralteten Rechts bewusst ist, wird es mitunter großzügig gehandhabt.

Fortschrittliche Vereine verlieren mitunter die Gemeinnützigkeit. ATTAC und VVN können ein Lied davon singen

Es gibt drei Probleme. Erstens: Ein Taubenzüchter- oder Tanzverein will sich etwa im Fall eines aktuellen rassistischen Anschlags für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aussprechen. Nach dem Recht dürfen sie nur dem eigenen Zweck nachgehen, eben Tauben züchten oder tanzen. Zweitens: Ein gemeinnütziger Verein will der Förderung des Menschenrechts und der Rechtsstaatlichkeit dauerhaft nachgehen. Er muss einen im Gesetz aufgelisteten Zweck angeben können. Drittens: Ein Verein soll nicht überwiegend zu politischen Mitteln greifen, etwa zu Demonstrationen oder zu politischen Forderungen. Die Lücke zum veralteten Gesetz muss geschlossen werden. Nach jetzigem Recht geht das nur, indem Finanzbeamte »die Augen zudrücken«. Ein Verein kann aber das Pech haben, dass zuständige Beamte das anders sehen oder alles sehr regelgetreu auslegen. Es darf nicht sein, dass die Auslegung vom Wohlwollen einzelner Personen abhängt. Möchte der Gesetzgeber, dass sich Menschen für Demokratie einsetzen, sollte er es ins Gesetz hineinschreiben.

Plötzlich ist auch der Mainstream um das geltende Gemeinnützigkeitsrecht besorgt, inklusive Exbundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP. Jetzt scheint aufzufallen, dass die AfD, wenn sie an der Macht ist, Finanzämter anweisen könnte, Vereine zu ruinieren, die sich gegen Faschismus und extreme Rechte einsetzen. Gibt es Anhaltspunkte dafür?

In unserer demokratischen Kultur ist es bisher so verankert, dass Minister »ihrem« Finanzamt nicht sagen, wie es zu entscheiden hat. Für autoritäres Durchregieren offene Parteien könnten das ändern. Ein Horrorszenario wäre, dass ein Finanzminister der AfD die demokratische Zivilgesellschaft als Kontrolleur der Regierung ausschalten will.

Hilft es, wenn Leutheusser-Schnarrenberger im Interview mit dem Deutschlandfunk »klarstellende Regelungen« fordert?

Sie argumentiert als engagierte Liberale für den Rechtsstaat, der nicht hart ist, sondern sich selbst Grenzen setzt, zum Schutz der Bürger vor einer Übergriffigkeit des Staates. Wie es das Grundgesetz vorsieht. Das Gemeinnützigkeitsrecht so auszugestalten, ist im Koalitionsvertrag vereinbart.

Müsste es nicht im Interesse der Regierung liegen, das Gesetz schnell auf den Weg zu bringen, damit Finanzbehörden nicht Vereine, die zu Demos gegen rechts aufrufen, als »einseitig« beanstanden?

Das Gemeinnützigkeitsgesetz muss auf jeden Fall zügig auf den Weg gebracht werden. Eine eigens dafür eingesetzte Arbeitsgruppe hat sich aber seit Beginn des Jahres nicht mehr getroffen.

Drängt die Zeit, weil sich die politischen Verhältnisse bald stark nach rechts verschieben könnten?

Im Entwurf für das Jahressteuergesetz 2024 ist keine Änderung zu sehen. Die Vereine so in Unsicherheit zu halten, ist dramatisch.

Stefan Diefenbach-Trommer ist Vorstand der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung«

Großes Kino für kleines Geld!

75 Augaben für 75 €

Leider lässt die Politik das große Kino vermissen. Anders die junge Welt! Wir liefern werktäglich aktuelle Berichterstattung und dazu tiefgründige Analysen und Hintergrundberichte. Und das zum kleinen Preis: 75 Ausgaben der gedruckten Tageszeitung junge Welt erhalten Sie mit unserem Aktionsabo für nur 75 €!

Nach ablauf endet das Abo automatisch, Sie müssen es also nicht abbestellen!