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Aus: Ausgabe vom 27.06.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Energiepolitik

Reaktorflotte chronisch überaltert

Bedeutung von Kernkraft nimmt im Vergleich zu Erneuerbaren weltweit ab. Gefahren bleiben
Von Wolfgang Pomrehn
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Wenige Stunden vor der Stillegung: Das AKW Isar 2 in Essenbach bei Landshut (15.4.2023)

Atomkraftwerke haben im vergangenen Jahr mit 2.553 Milliarden Kilowattstunden etwas weniger Strom als noch vor 20 Jahren produziert. 2004 waren es 2.616 Milliarden Kilowattstunden. Das geht aus den soeben veröffentlichten Daten der Internationalen Atomenergieagentur hervor. Da der weltweite Bedarf an elektrischer Energie zwischenzeitlich erheblich zugenommen hat, betrug der Anteil des in den meisten Ländern stark kritisierten Atomstroms an der globalen Versorgung nur noch 9,1 Prozent. Auf dem Höhepunkt Mitte der 1990er war sein Anteil hingegen fast doppelt so groß.

Im Gegensatz dazu nimmt der Anteil erneuerbarer Energieträger rasant zu, wie unter anderem der Global Electricity Review von Ember zeigt. Ember ist ein auf Datenanalyse im Energiesektor spezialisierter europäischer Thinktank, der sich der Unterstützung der globalen Energiewende verschrieben hat. Demnach haben Wasserkraftwerke 2023 14 Prozent der globalen Stromproduktion abgedeckt, und 2,4 Prozent wurden aus Biomasse erzeugt, wobei deren Anteil vermutlich noch etwas höher liegt, da die Statistiken viele kleine, dezentrale Anlagen nur unvollständig erfassen. Weitere 13,4 Prozent des globalen Bedarfs lieferten Windräder und Solaranlagen, die den mit Abstand am schnellsten wachsenden Bereich darstellen. Im Jahr 2000 betrug ihr Anteil erst 0,2 Prozent. Der größte Teil des Wachstums des Solar- und Windsektors erfolgte allerdings erst in den vergangenen fünf Jahren, und es scheint sich weiter zu beschleunigen. Das legen zumindest die Ausbauzahlen aus China nahe, wo vor allem die Solarenergienutzung seit 2023 förmlich zu explodieren scheint. Mehr als die Hälfte des vorjährigen Zuwachses an Wind- und Solarstrom wurde in China erzeugt.

Die Volksrepublik ist allerdings auch das einzige Land, wo noch im größeren Umfang neue Atomkraftwerke gebaut werden. 56 meist noch sehr junge Reaktoren laufen dort, 25 weitere befinden sich im Bau. Dennoch kann auch in China der Atomstrom den erneuerbaren Energieträgern nicht den Rang ablaufen. Lediglich knapp fünf Prozent der elektrischen Energie wurde 2023 im Land der Mitte von AKW geliefert; ein Anteil, der seit 2015 konstant und zuletzt leicht rückläufig ist. Wasserkraftwerke trugen hingegen 13 Prozent und Wind und Sonne zusammen 16 Prozent zur Versorgung bei. Letztere haben 2023 erstmalig die Wasserkraft übertroffen.

Derweil ändert der rege Bau von AKW in der Volksrepublik nichts daran, dass die internationale Reaktorflotte mehr überaltert. Von den 416 noch im Betrieb befindlichen Anlagen laufen 164 Reaktoren seit 40 Jahren oder länger, die ältesten drei sogar bereits seit 55 Jahren. 40 Jahre gelten für gewöhnlich als die Zeit, für die die Anlagen ausgelegt sind. Durch die harte Neutronenstrahlung im Reaktorkern versprödet dort der Stahl der Druckbehälter, die nicht ausgetauscht werden können. Versprödung bedeutet in diesem Fall, dass das Metall brüchiger, also anfälliger für Risse und Lecks wird.

Das Problem der Überalterung wird sich zudem schon bald erheblich verschärfen, denn vor 35 bis 40 Jahren gab es einen regelrechten AKW-Boom. Entsprechend werden in den nächsten vier Jahren weitere 81 Reaktoren die 40-Jahre-Schwelle erreichen. Dann gäbe es – selbst wenn zwischenzeitlich ein paar Dutzend abgeschaltet würden – schon über 200 dieser besonders störanfälligen Altmeiler. Man könnte das Russisch Roulette nennen, obwohl es ebenso ein französisches, belgisches, Schweizer oder US-amerikanisches Glücksspiel sein wird.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (26. Juni 2024 um 22:13 Uhr)
    Alterung scheint als Ursache für den GAU (Größter anzunehmender Unfall) in einem Kernkraftwerk nicht die wichtigste Rolle zu spielen. Wie alt waren die Reaktoren in Tschernobyl und Fukushima, als die Kernschmelze eintrat? Three Mile Island ist zwar nicht explodiert, aber Knallgas hatte sich im Reaktorkern schon gebildet. Dafür sind Temperaturen um tausend Grad erforderlich. Das angesprochene Glücksspiel hieße wohl besser Herausforderung eines Unglücks.

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