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Aus: Ausgabe vom 27.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Nachleben ohne Obdach

Unheimlich nicht nur für Kinder: Der gespenstische Animationsfilm »Elli: Ungeheuer geheim«
Von Barbara Eder
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»Im allerhöchsten Grade unheimlich erscheint vielen Menschen, was mit dem Tod, mit Leichen und mit der Wiederkehr der Toten, mit Geistern und Gespenstern zusammenhängt.« (Sigmund Freud)

Spätestens seit Freuds epochalem Essay »Das Unheimliche« von 1919 ist das Heimische kein Heimliches mehr. In »Elli: Ungeheuer geheim« ist der transzendentalen Obdachlosigkeit die reale längst gefolgt: Nach einem spukhaften Moment der Heimsuchung muss das kobaltblaue Gespenstermädchen Elli sich ein neues Zuhause suchen. Ihr ebenfalls geisterhafter Onkel Chamberlain wurde aus der seit Jahrtausenden gemeinsam bewohnten Spukvilla entfernt – von einer sensorisch armierten Polizeitruppe, die aus der Luft agiert. Die Drohnis sind kleine, fliegende Roboter mit Propellern, die von einer KI darauf programmiert wurden, Geister und andere Monster zu »amortisieren«: Sie verwandeln die unheimlichen Bewohner einer namenlosen Stadt in eine Menge aus Binärzahlen – eine tödliche Metamorphose, die später auch die Menschen treffen soll.

In Piet de Rycker und Jesper Møllers Animationsfilm bettet man die Toten nicht unter der Erde, auch haftet ihren Überresten nichts Organisches an. Am Ende bleibt nicht viel mehr als eine Handvoll Code. Diese »Digits« landen in den großen Gläsern einer begehbaren Datenbank, verwaltet von einem totalitären Superadmin namens Quantrix. Inmitten seines Depots findet man ab und an auch die körperlichen Hüllen der Toten zwischen Scheiben gepresst. Die durchsichtigen Särge ähneln den Containern kryonischer Körperkonservierungsstätten – in einem dieser Stickstofftanks wartet Timothy Leary bis heute auf ewiges Leben. Ellis Onkel Chamberlain tut es ihm im Film in unfreiwilliger Weise gleich.

Ein Geist zu sein hat dennoch einige Vorteile. Elli bewegt sich fliegend fort, Fenster und Türen stellen für sie keine Hindernisse dar. Sie fegt schneller durch die Lüfte als die Drohnis und beherrscht zudem die Kunst, ihre externalisierte Wut durch elektrische Leitungen zu schicken. Kabelverbindungen werden so zu erweiterten Nervenbahnen, Ellis Drohungen wirken elektrisierend: Sie schlägt die Ghostbuster in die Flucht und wechselt währenddessen immer wieder die Farbe. Gemeinsam mit anderen Monstern, die mit ihr Unterschlupf in einer Geisterbahn gefunden haben, organisiert sie ihr Leben ohne Obdach.

Ellis Bande besteht aus dem Vampir Vangrufti, der seine Eckzähne verloren hat, und aus Knarf Frankenstein, zusammengesetzt aus elektronischen Ersatzteilen des letzten Jahrhunderts. Mit Martha, einem pelzigen Yeti, der nach der letzten Eiszeit Farbe bekommen hat, ist das Dreamteam dieser Fantastic Four komplett. Gemeinsam gelingt es ihnen, Onkel Chamberlains digitale Asche wieder zum Leben zu erwecken. Gegen Ende des Films löst sich der Geist-Materie-Dualismus im Allzumenschlichen auf – selbst Quantrix lässt doch noch mit sich reden. Eine Prise Humanismus zuviel inmitten dieser animierten Technikdystopie? Nicht unbedingt, denn: Auch Monster haben ein Recht auf ein Zuhause. In Onkel Chamberlains Geisterhaus ist es von jeher normal, unheimlich zu sein.

»Elli: Ungeheuer geheim«, Regie: Piet de Rycker und Jesper Møller, BRD 2024, 86 Minuten, Kinostart: heute

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