75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 4. Juli 2024, Nr. 153
Die junge Welt wird von 2819 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 28.06.2024, Seite 1 / Titel
Bahn AG im Kollaps

Vorwärts nimmer

Streckenstreichungen, Sperrungen, Versagen: Nach 30 Jahren ist die Deutsche Bahn am Ziel der Privatisierung
Von Arnold Schölzel
imago0420196292h.jpg
Die einst blühende Landschaft des Streckennetzes im Osten wird weiter kaputtgekürzt (Waldheim in Sachsen)

Am Donnerstag warnte die FDP vor einer Vernachlässigung des Straßenverkehrs zugunsten der Schiene. »Es kann nicht sein, dass alles in die Bahn investiert wird«, so der FDP-Vizefraktionsvorsitzende im Bundestag, Christoph Meyer, zu AFP. Dabei hat die Unternehmerpartei Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf ihrer Seite, der am Mittwoch im Parlament verkündet hatte: »Wir brauchen einen funktionsfähigen Kapitalismus in Europa.« Am Abend desselben Tages berichtete der Spiegel: »Kretschmann bittet Kanzler um Machtwort an die Bahn.« Der baden-württembergische Ministerpräsident (Bündnis 90/Die Grünen) habe dem »lieben Olaf« geschrieben, das Management der Deutschen Bahn (DB) blockiere die Digitalisierung von »Stuttgart 21«, womit die der gesamten Bahn zu scheitern drohe. Laut Spiegel geht es um Erpressung: »Im Konzern heißt es, die Digitalisierung von Stuttgart 21 sei der letzte Trumpf, den das Unternehmen noch in der Hand habe, um mehr Geld für seine Infrastruktur zu bekommen.« Am Donnerstag sollte demnach der DB-Aufsichtsrat tagen und den Konzernvorstand »bitten«, das Geld freizugeben.

Vorab gab es bereits einen verbalen Aufstand wegen angekündigter Streckenstreichungen vornehmlich im Osten. Der Chef der Eisenbahngewerkschaft EVG, Martin Burkert, kritisierte den »Raubbau« der Regierung. Sie streiche die Schiene »immer weiter zusammen«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Donnerstagausgaben). Einstellungen von Fernverbindungen böten »gesellschaftlichen Sprengstoff, gerade auch im Osten«. Den wirtschaftlichen Wahnwitz, der sich dahinter verbirgt, benannten Sören Pellmann, Vorsitzender der Linke-Gruppe im Bundestag, und Marco Böhme, verkehrspolitischer Sprecher der Linken im Sächsischen Landtag: »Wegen des veralteten Eisenbahnregulierungsgesetzes führen höhere Bundeszuschüsse an die Bahn zu höheren Renditeforderungen.« Richtig wäre es, die Trassenpreise abzusenken und höhere staatliche Zuschüsse in die Instandsetzung der maroden Infrastruktur zu lenken. Der Spiegel hatte am Dienstag berichtet, dass die Bahn angesichts enorm steigender »Trassenmaut« für 2025 höhere Ticketpreise ins Auge fasse.

Pellmann und Böhme forderten: »Das dünne Fernverkehrsangebot im Osten darf nicht weiter zurückgebaut werden.« Die Bahn hatte offenbar erwogen, die IC-Verbindung Dresden–Rostock einzustellen, will die ICE-Fahrten nach Stralsund auf jeden Fall verringern. Für BSW-Chefin Sahra Wagenknecht ist das »ein erneuter Schlag gegen den Osten«. Sie sagte dpa: »Dieser unfähige Bahnvorstand gehört endlich ausgetauscht.« Für Ostdeutschland interessiert er sich generell mäßig: Die Verbindung ins polnische Szczecin ist seit Jahren unterbrochen, die Fahrt nach Kostrzyn endet vor der Oder, weil der Neubau einer Brücke nicht gelingt, an der Strecke Berlin–Dresden wird seit Jahrzehnten gepfuscht, zumeist rumpeln auch die Züge nach Prag, Wien oder Budapest über Nebenstrecken. Hinzu kommen ständige Streckensperrungen.

Viele Bahnfahrten enden während der laufenden Fußballeuropameisterschaft für Fans im Nirgendwo – zum Gespött internationaler Medien. Besser haben es die Mannschaften: Zu den Spielen reisen viele Teams mit dem Flugzeug, auch das deutsche fürs Achtelfinale am Sonnabend. Dem türkischen Verband waren schon die 180 Kilometer von Barsinghausen zum Spiel nach Hamburg am Mittwoch zuviel: Charterflug. Die UEFA hatte das Turnier ursprünglich als nachhaltigste EM aller Zeiten ausgerufen.

Ein funktionsunfähiger Kapitalismus ist Programm.

Großes Kino für kleines Geld!

75 Augaben für 75 €

Leider lässt die Politik das große Kino vermissen. Anders die junge Welt! Wir liefern werktäglich aktuelle Berichterstattung und dazu tiefgründige Analysen und Hintergrundberichte. Und das zum kleinen Preis: 75 Ausgaben der gedruckten Tageszeitung junge Welt erhalten Sie mit unserem Aktionsabo für nur 75 €!

Nach Ablauf endet das Abo automatisch, Sie müssen es also nicht abbestellen!

  • Leserbrief von Ronald Prang aus Berlin (27. Juni 2024 um 20:52 Uhr)
    Wer kann vom Kolonialherren Wohltaten erwarten? Die Bewohner der ehemaligen DDR werden nach 30 Jahren mit der Fratze des real existierenden Kapitalismus konfrontiert. Die Großbetriebe zerschlagen, der ÖPNV heruntergefahren, Kindergärten und Schulen ins »Mittelalter« zurückgeschrumpft. So hatte sich wohl keiner das Ende seiner Heimat vorgestellt. Dabei haben wir heute alles, was im Westen damals schon normal war, Obdachlose, Arbeitslose, Bettler und Rentner sammeln Pfandflaschen und keiner muss zehn Jahre auf ein Auto warten. Man kann reisen, wohin man will. Nur leider können sich das alles die Meisten kaum leisten. Die Rente reicht für die Miete oder man ist gezwungen, Sozialhilfe zu beantragen. Trotz all dieser Demütigungen sollte man nicht auf all die »Rattenfänger« hereinfallen, die uns einreden wollen, dass »die Ausländer« an allem schuld sind. Traurig, dass auch die »Wagenknechte« dieses Lied singen. Die Einkommen der oberen zwei Prozent sind in den vergangenen Jahren explosionsartig gewachsen, und der AfD-Wähler kämpft gegen Steuererhöhung. Die Umverteilung des Reichtums von Unten nach Oben ist das Wesensmerkmal einer kapitalistischen Wirtschaft, man hätte in der Schule besser zuhören sollen. Ist es tatsächlich nötig, noch einmal Faschismus zu erleben, um den Zusammenbruch des Kapitalismus zu erreichen? Krieg haben wir ja schon in Europa, und dem »kleinen Mann/Frau« steht das Wasser bereits bis zum Hals. Nationalismus ist das Letzte, was wir brauchen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (27. Juni 2024 um 20:45 Uhr)
    Ob Kapitalismus oder peng: Wir bräuchten halt was Funktionsfähiges. Noch besser: was sinnvoll funktionsfähiges.
    • Leserbrief von Klaus Jürgen Lewin aus 28201 Bremen (28. Juni 2024 um 18:22 Uhr)
      Früher hat man/frau gesagt: Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt. Aber bei den DB-Loks geht das so schwer, oder? Aber was kann man/frau von solch einem FDP-Bundesverkehrsminister, der aus einem besonders wein-seeligen Bundesland kommt, schon anderes erwarten? Was sagte ein guter Freund aus Bremen immer: Erwarte nichts, dann wirst du auch nie enttäuscht. Die Endzeitstimmung ist in der Ampelkoalition eingeläutet. Es ist wie beim Beamtenmikado: Wer sich zuerst rührt, der hat verloren.

Ähnliche:

  • »Wettbewerbsideologische Konzepte«: Carl Waßmuth (Mitte) vor dem...
    30.11.2023

    Kartell der Kaputtmacher

    Wettbewerbsbehörde empfiehlt Bahn-Zerschlagung, die über Ampelpläne hinausgeht. Bündnis fordert Gemein- statt Privatnützigkeit
  • Soll attraktiver werden: Das Gleisbett auf Fernstrecken (Dessau-...
    17.10.2023

    Aufgehübschte Konkurrenz

    Erst Bahnnetz sanieren, dann für Private öffnen: Bundesbeauftragter will mehr Wettbewerb auf der Schiene
  • Laut Plänen von CDU/CSU soll die gesamte Infrastruktur aus dem K...
    18.04.2023

    »Neoliberale Strategie«

    Union will Bahn zerschlagen. FDP und Grüne begrüßen Vorstoß. EVG und Bürgerbündnis kritisieren Pläne