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Aus: Ausgabe vom 28.06.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Tarifverhandlungen

Clinch ums Geld

Metall- und Elektroindustrie: IG Metall fordert siebenprozentiges Lohnplus für Millionen Beschäftigte. Gegenseite sieht keinen »Nachholbedarf« bei Belegschaft
Von Oliver Rast
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Haben oft zu viel Geduld, fackeln oft zu lange: Automobilwerker bei BMW in Leipzig

Es geht um Millionen, um Millionen Beschäftigte, um knapp vier Millionen, in der Metall- und Elektroindustrie (ME). Denn die Tarifrunde steht an, für Mitte September. Davor viel Vorgeplänkel. Am 17. Juni etwa hatte der Vorstand der IG Metall (IGM) in Frankfurt am Main ein Paket mit Tarifforderungen em­pfohlen. Vier Tage später, am 21. Juni, dann der Forderungsbeschluss der regionalen Tarifkommissionen. Zu guter Letzt wird der IGM-Vorstand am 9. Juli die Forderungen beschließen. Fix.

Soziale Komponente

An den Kernpunkten, die bereits seitens der Gewerkschaftschefin Christiane Benner vorgestellt und von den IGM-Bezirken bestätigt worden waren, dürfte sich wenig ändern. Von einzelnen regionalen Varianten abgesehen. Also, worum wird es gehen? »Hey Boss, ich brauch’ mehr Geld«, intonierte Schlagerbarde Gunther Gabriel mit Klampfe schon vor 50 Jahren, 1974, in der ZDF-»Hitparade«. Deshalb verlangt die IGM ein Entgeltplus von sieben Prozent für zwölf Monate, lehrjahrunabhängig 170 Euro mehr für Auszubildende und dual Studierende. Ferner eine soziale Komponente (Fest- oder Sockelbeträge), um untere Entgeltgruppen zu entlasten. Und um Arbeitszeitregeln soll es auch gehen – der Gesundheit wegen, des zivilgesellschaftlichen Engagements wegen, so die Gewerkschafter.

Kapitalbosse: Nullrunde

Ein Forderungspaket, wohl durchdacht, keine Bauchentscheidung. Zuvor hatten Metaller Branchenbelegschaften befragt. Rund 318.000 Beschäftigte beteiligten sich. Ein Teilnahmerekord, allein im IGM-Bezirk Nordrhein-Westfalen waren es mehr als 50.000. Ein Teilergebnis der Fragerunde: Für 80 Prozent der Kollegen sei die ökonomische Betriebslage vor Ort okay, für 44 Prozent gut bzw. sehr gut. »Die wirtschaftliche Situation der Betriebe nehmen die Beschäftigten insgesamt deutlich positiver wahr, als es das aktuelle Wehklagen der Arbeitgeberverbände vermuten lässt. Es gibt etwas zu verteilen«, wurde Nadine Boguslawski, für Tarifpolitik verantwortliches Vorstandsmitglied der IG Metall, Anfang Juni ein einer Mitteilung zitiert.

Jammern, schimpfen, poltern – darin sind Kapitalbosse geübt. So auch jetzt. Der Verhandlungsführer von Südwestmetall, Harald Marquardt, hatte kürzlich verlauten lassen: Es gebe keinen Nachholbedarf, deshalb Nullrunde. Denn die ME-Industrie befinde sich weiterhin in der Rezession. Das belegten Zahlen des Statistischen Bundesamtes. »So ging die Produktion im ersten Quartal 2024 um 2,4 Prozent gegenüber dem bereits schwachen Vorquartal zurück«, hatte Gesamtmetall Ende Mai mitgeteilt. Damit habe die Produktion in der mit zirka 25.000 Betrieben und fast vier Millionen Beschäftigten größten deutschen Industriebranche um sieben Prozent unter 2023 gelegen. Und: »Der Abstand zum Vorkrisenniveau 2018 vergrößerte sich erneut auf nunmehr 14 Prozentpunkte.«

Kampfbereite Metaller

Kirre machen gilt nicht, betonen Metaller aus den Tarifkommissionen unisono. »Bei uns brummt der Laden«, weiß Nino Vogel von BMW in Leipzig. Kaufkraftverluste etwa durch hohe Inflationsraten müssten ausgeglichen werden. Das erwarteten die Kolleginnen und Kollegen. Punktum. Das sieht Chryso Riga ähnlich, die beim Automobilzulieferer Schaeffler im mittelfränkischen Höchstadt ackert: »Wir sind ein Produktionsort mit vielen Fachkräften in den mittleren Entgeltgruppen. Unsere Beschäftigten spüren ganz unmittelbar, dass sie weniger Geld im Portemonnaie haben.« Deutlich wird Fevzi Sikar: »Wir sind kampfbereit«, so der Arbeiter bei Mercedes-Benz aus dem Mariendorfer Werk in Berlin.

Also, die Prozentpunkte müssen in die Entgelttabellen. Dauerhaft. Zumal Einmalzahlungen der Metall- und Elektrofirmen vom vergangenen Tarifabschluss längst verausgabt sind, so Boguslawski. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung (HBS) hatte unlängst ermittelt: Die Reallöhne der Tarifbeschäftigten sind bundesweit infolge der mehrjährigen Teuerungswelle auf den Stand von 2016 zurückgefallen. Devise: Trendumkehr.

Das noch: Die Friedenspflicht endet am 28. Oktober, danach sind Warnstreiks möglich – Motto: »Solidarität gewinnt.« Wenn denn bewegte Beschäftigte es wollen.

Hintergrund: Tarifkonflikte bei Metallern

Da war wohl eine gewerkschaftsinterne Kreativabteilung am Werk. »Die Acht lacht« – so lautete das Motto der IG Metall (IGM) bei der vergangenen Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie im Herbst vor zwei Jahren. Also ein Entgeltplus von acht Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Eine Forderung, die in den Betrieben seitens der Belegschaft samt ihrer Gewerkschaft durchgesetzt werden sollte. Wie gehabt, Kapitalbosse zauderten, präsentierten lange Zeit kein Angebot auf dem Verhandlungstisch – und provozierten Warnstreiks. Bundesweit hatten sich nach IGM-Angaben mehr als 900.000 Branchenkollegen an den Kurzzeitausständen beteiligt. Die Folge: Die Gegenseite bewegte sich; erst zögerlich, dann etwas munterer. Auch das wie gehabt. Rituale in Tarifkonflikten. Pilotabschluss im November 2022 im Südwesten.

Was kam unterm Strich raus? 8,5 Prozent mehr Entgelt für Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie. Indes nicht sofort und nicht binnen eines Jahres. Gesplittet, erst ab Juni 2023, dann ab Mai 2024. Zunächst 5,2 Prozent mehr Geld, dann 3,3 Prozent. Ferner kassierten Kollegen eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung in Höhe von 3.000 Euro. Der Knackpunkt: die Laufzeit der Tarifeinigung. Statt zwölf 24 Monate, sprich doppelt so lange wie gefordert. Anders ausgedrückt: Die IGM-Verhandlungsführer haben die Ursprungsforderung fast halbiert, die Tarifkommissionsmitglieder nickten artig ab. Nochmals alles wie gehabt. Und klar, im Anschluss des Abschlusses zirkulierten Danksagungen ob des vorzeigbaren Tarifvertrags und so. Wie gehabt.

Immerhin, die IGM machte in den Herbstmonaten 2022 die Misere zum Thema, sensibilisierte Belegschaften, startete extra die Kampagne »Krisengewinne abschöpfen – Kosten deckeln!«. (or)

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