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Aus: Ausgabe vom 28.06.2024, Seite 5 / Inland
Bundestag

Unsere Arbeiterfeinde

Kein Mindestlohn für ausländische Erntehelfer: Ein AfD-Antrag und eine beispielhafte Debatte im Bundestag
Von Alexander Reich
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Ihr Stundenlohn ist zu niedrig, nicht zu hoch: »Unsere Bauern« auf einem Spargelfeld in Beelitz, März 2024

Deutsche Bauern kümmern sich oft genug im Büro um die Zahlen (und Subventionen), während auf ihren Feldern andere für sie schuften. Das muss man bedenken beim Antrag der AfD, der am Mittwoch abend im Bundestag beraten wurde: »Unsere Bauern retten – Ausnahmeregelung beim gesetzlichen Mindestlohn für ausländische Erntehelfer bei heimischen Obst-, Gemüse-, Wein- und Hopfenanbau einführen.«

Als erster sprach Peter Felser für die AfD. Er wohnt auf einem umgebauten Bauernhof im Allgäu, ist Medienunternehmer und hat mit Götz Kubitschek ein gehobenes Landser-Heft über seine Zeit als Soldat im Bosnien-Krieg herausgebracht. Von den Bauernaufständen vor 500 Jahren kam Felser auf die »fleißigen Hände zahlreicher Saisonarbeitskräfte«, die unverschämt gut bezahlt würden: »Italienische Betriebe kennen gar keinen Mindestlohn!« Mit dessen Abschaffung ließe sich auch der deutsche »Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse« erhöhen, was in Kriegszeiten bitter notwendig sei.

Später unterstrich Parteikollege Frank Rinck: »Der Mindestlohn richtet unsere landwirtschaftlichen Betriebe zugrunde.« Er müsse das wissen, er habe schließlich »über zehn Jahre auf einem Kartoffelbaubetrieb gearbeitet«. Wobei sich der Niedersachse mit dem Boss-Cut nicht unbedingt auf den Äckern den Rücken krumm macht: Er führt einen Agrarbetrieb in Uelzen (lustige Zeile von Wiglaf Droste aus einer verblichenen Ausgabe dieser Zeitung: »Du sollst nicht uelzen!«)

Weil seine Redezeit sonst »gleich vorbei« gewesen wäre, ließ Rinck eine Zwischenfrage des SPD-Abgeordneten Matthias Papendieck zu. Der wurde noch in der DDR geboren und erinnerte an den Inder Satnam Singh, der als einer von 230.000 Landarbeitern ohne Papiere auf den Feldern Italiens malochte, bis er in der vergangenen Woche in eine Maschine geriet, die seine Beine zerquetschte und seinen Arm abtrennte. Der italienische Landwirt, der Singh für vier Euro pro Stunde schwarz beschäftigt hatte, entsorgte den Arm in einer Obstkiste und schaffte den Schwerverletzten mit dem Lkw zu seiner Unterkunft, wo er ihn am Straßenrand liegen ließ. Singh starb mit 31 Jahren. Er sei halt nicht registriert gewesen und habe einen Fehler gemacht, der nun »für alle sehr teuer« würde, erklärte der Landwirt später im italienischen Fernsehen.

»Selbst die Meloni-Regierung redet in diesem Fall von Barbarei«, meinte Papendieck, »die Gewerkschaften vor Ort von Sklaverei«: »Wenn Sie solche Anträge stellen, dann führt das doch dorthin. (…) Wollen Sie wirklich so einen Weg einschlagen?« »Natürlich will er das!« rief jemand, aber Rinck mochte sich darauf nicht einlassen: »Ihre Frage ist eigentlich völliger Quatsch.« Weitergehen, hier gibt’s nichts zu sehen.

In der Sache hatte die AfD die Unionsparteien an ihrer Seite. »Wenn in anderen Ländern Europas die Löhne niedriger sind«, rechne sich die »sehr personalintensive Ernte von Erdbeeren, Spargel und so weiter« hierzulande nicht, erklärte Wilfried Oellers (CDU). »Ab einem bestimmten Unterschied der Löhne« seien deutsche Betriebe »nicht mehr konkurrenzfähig«. Es gehe bei der Bestimmung des Mindestlohns um die »Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten«, mahnte der Kölner Arbeitsrechtler und Burschenschafter, als wäre das Kapital bei den letzten Minierhöhungen übergangen worden und nicht das genaue Gegenteil der Fall.

Um dem Schwachsinn die Krone aufzusetzen, meinte Oellers dann noch, »dass wir gerade in der Ernährungsproduktion Selbstversorger bleiben müssen«, schon wegen des Ukraine-Kriegs. Die BRD ist von Selbstversorgung weit entfernt. AfD-Felser hatte den Grad für Obst und Gemüse mit 25 bis 30 Prozent angegeben. Und so erschien die Union mit ihrem lauten Applaus nach Oellers Rede als die noch durchgeknalltere große Schwester der AfD.

Erfreulich klare Kante zeigte in der Debatte Alexander Ulrich vom Bündnis Sahra Wagenknecht. Der Antrag sei »auch an Ausländerfeindlichkeit nicht zu überbieten«, stellte er fest. Für gleiche Arbeit am gleichen Ort müsse es gleiches Geld geben, völlig unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Aber die AfD sei ja generell gegen Mindestlöhne. Das BSW fordere hingegen die Einhaltung der EU-Mindestlohnrichtlinie. Nach der sind in Deutschland mindestens 14 Euro zu zahlen, nicht 12,41 Euro (2024) oder 12,82 Euro (2025). Der AfD-Antrag wurde in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.

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