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Aus: Ausgabe vom 28.06.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Abkommen EU und Mercosur

Fünf Jahre Stillstand

Warum das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur immer noch nicht in Kraft ist
Von Jörg Kronauer
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Die EU im Auge, die BRD im Sinn: Was Jean-Claude Juncker (l.) als »historisch« feierte, würde vor allem Interessen der hiesigen Industrie bedienen

Seit geschlagenen fünf Jahren liegt es fertig vor, ist aber immer noch nicht in Kraft: das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay). In diesen Tagen löst es wieder einmal Debatten aus. Besonders die deutsche Industrie erhofft sich von ihm große Vorteile: einen besseren Zugang zu einem bedeutenden Absatzmarkt; zugleich aber auch einen ungehinderten Zugriff auf strategisch bedeutende Rohstoffe des Mercosur, darunter Lithium. Allerdings sind die Widerstände immer noch nicht ausgeräumt – vor allem in der EU.

»Ein historischer Moment!«, hatte der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 28. Juni 2019 gejubelt, an diesem Freitag vor fünf Jahren. Die EU und der Mercosur hatten sich soeben auf den Wortlaut des Freihandelsabkommens geeinigt, an dem sie genau 20 Jahre lang, seit dem 28. Juni 1999, gearbeitet hatten. Es sieht weitreichende Marktöffnungen auf beiden Seiten vor. Dass sich die Verhandlungen zwei Jahrzehnte in die Länge gezogen hatten, hatte seinen Grund: Die EU musste dem Mercosur, im Gegenzug zu dessen Öffnung für ihre Industrieprodukte, einen weitgehend ungehinderten Zugang nicht nur für seine Rohstoffe, sondern auch für seine Agrargüter bieten; das aber drohte vor allem Frankreichs Landwirten und Agrarkonzernen empfindliche Nachteile einzubrocken. Paris stellte sich deshalb lange Zeit quer. Erst im Sommer 2019 lenkte es ein.

Und es schwenkte schon bald wieder um. Das EU-Mercosur-Abkommen muss von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Frankreich – nicht gewillt, Vorteile für die deutsche Industrie mit Nachteilen für französische Landwirte zu bezahlen – erhob bereits wenige Wochen nach der Einigung vom 28. Juni 2019 erneut Einwände. Irland, bald auch Österreich schlossen sich, ebenfalls in Sorge um ihre Agrarwirtschaft, an.

Der Vorwand, auf den sie sich bis heute berufen – und der Sache nach trifft er vollkommen zu: Das Abkommen berücksichtigt zentrale klimapolitische Belange nicht. Die EU hat vergangenes Jahr versucht, dem Mercosur eine Zusatzerklärung aufzunötigen, die einige klimapolitische Zugeständnisse enthält. Der Mercosur aber, nicht bereit, auf Kommando über stets neue Stöckchen der Exkolonialherren zu springen, weigerte sich; er legte seinerseits ein Zusatzpapier vor, das Probleme für kleine und mittlere Unternehmen aus seinen Mitgliedstaaten beseitigen soll. Die Verhandlungen steckten Ende 2023 erneut fest.

Dabei ist es bis heute geblieben. Anfang Februar bestätigte Frankreichs Ministerpräsident Gabriel Attal bei seinem Antrittsbesuch in Berlin, Paris bleibe bei seinem Nein. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bekräftigte es im März bei einem Besuch in Brasilien: Man habe »ein schreckliches Abkommen« ausgehandelt, das in die Tonne gehöre, erklärte er. Die Mercosur-Staaten sind – wie die Bundesrepublik – im Grundsatz nach wie vor dafür, das Abkommen in Kraft zu setzen; zuletzt bestätigte Argentiniens Präsident Javier Milei das am Sonntag bei seinem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin.

Wie weiter? Bereits Anfang Mai hatte Rupert Schlegelmilch, Verhandlungsführer der EU in Sachen Mercosur-Freihandelsabkommen, gegenüber der Folha de São Paulo eingeräumt, die Sache sei total verfahren; angesichts der Bauernproteste in diversen Staaten der EU sei es »keine günstige Zeit«. Der Erfolg des Rassemblement National (RN) bei der Europawahl hat die Wahrscheinlichkeit, dass Macron klein beigeben wird, weiter reduziert.

Scholz sprach sich am Montag auf dem Tag der Industrie, der jährlichen Zukunftskonferenz des BDI, dafür aus, Freihandelsabkommen künftig schmaler zu fassen; dann könnten sie mit qualifizierter Mehrheit auch gegen den Willen einiger weniger Mitgliedstaaten beschlossen werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) äußerte sich ähnlich: Das biete auch den Vorteil, erklärte er, dass man nicht mehr auf die Zustimmung der nationalen Parlamente angewiesen sei. Ob Frankreich sich damit einverstanden erklären wird, mag bezweifelt werden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gion H. aus Zürich (27. Juni 2024 um 23:29 Uhr)
    Ein seltsamer Bericht zu den stillstehenden »Verhandlungen« zum Freihandelsabkommen zwischen dem Mercosur und der EU. Fast wird bedauert, dass Macron ein Nein hinlegt, da er vom rechtsextremen RN und bäuerlichen nationalen Protest bedrängt wird, und deshalb sei die »Wahrscheinlichkeit, dass Macron klein beigeben wird, weiter reduziert«. Und wenn er zustimmen würde? Alles in Butter? Im Gegensatz dazu stellte ein Bericht in der jW vom 6.12.2023 vor allem die Sicht von »Gewerkschaften, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und die indigene Bevölkerung der Mercosur-Staaten« dar, die »waren aus genannten Gründen stets dagegen«. Denn diese sind: »… würde die Deindustrialisierung im Mercosur verschärft. Zugunsten der EU veränderte Herkunftsregeln würden zu einem Verlust von Arbeitsplätzen, etwa im südamerikanischen Textilsektor, führen. Denn europäische Konzerne könnten mit ihren zum großen Teil in Asien genähten Textilien auf den brasilianischen und argentinischen Markt drängen, womit deren Textilarbeiterinnen in den ausbeuterischen Wettbewerb hineingezogen würden. Die Folge wären schlechtere Arbeitsbedingungen und Lohndumping. Mit günstigeren Einfuhrregelungen in die EU wüchsen Monokulturen, etwa bei der Fleisch-, Soja- oder Zuckerrohrproduktion, in den Mercosur-Ländern an. Das wäre nur für die Großgrundbesitzer von Vorteil. Zudem wären der Regenwald in Brasilien und der Gran Chaco, der sich durch Paraguay und Argentinien zieht, zunehmend von Abholzung bedroht, was auch zur Vertreibung der dort lebenden indigenen Gemeinden führen würde.« Das ist doch recht deutlich! Mir wäre lieber, die jW würde den »Gewerkschaften, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und der indigenen Bevölkerung« wie in der Ausgabe vom 6.12.2023 den Rücken stärken und die europäischen und lateinamerikanischen »Marktradikalen« sich weiter im Kreis drehen lassen. Oder anders gesagt: Hoffentlich platzt das Abkommen im Sinne der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und der indigenen Bevölkerung!

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