75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Freitag, 5. Juli 2024, Nr. 154
Die junge Welt wird von 2836 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 27.06.2024, Seite 10 / Feuilleton
Folk

Ein sturer Typ

Was bleibt, ist die Kunst: Richard Thompsons Folkalbum »Ship to Shore«
Von Alexander Kasbohm
10.jpg
Schnörkellose Songs: Richard Thompson

Vor einem halben Jahrhundert stieg Richard Thompson bei der legendären, von ihm maßgeblich geprägten Folkband Fairport Convention aus. Das Album »I Want to See the Bright Lights Tonight«, das er mit seiner damaligen Frau Linda produzierte (die gerade, nach langer Pause, ihr Soloalbum »Proxy Music« veröffentlicht hat), wird dieses Jahr entsprechend auch schon 50. Richard Thompson selbst ist 75 und hat gerade eines der besten Alben seiner Karriere veröffentlicht.

Auf seinem 19. Soloalbum »Ship to Shore« mischt er wie gehabt britischen Folk mit Rock, Blues und Musik arabischen Einflusses (Mitte der 70er Jahre war Thompson zum sufistischen Islam konvertiert). Es hat sich nicht viel verändert in der musikalischen Welt von Richard Thompson: Sie ist düster und grau, doch man hat nie das Gefühl, er wolle aufgeben. Thompson zieht seine Furche unbeirrbar. Er weiß, dass man den Schmerz manchmal nur noch mit Humor ertragen kann, wenn man nicht untergehen will. Trost und Halt kommen daher, dass er der Welt und dem Schmerz ohne zu blinzeln ins Angesicht schaut. Und wenn er in »What’s Left to Lose?« fragt, »what’s left to lose, everything I had is gone …«, dann tut er das zu musikalisch betont unsentimentaler, nüchterner Midtempo-Begleitung.

Der posttraumatische Stress, über den er in »The Fear Never Leaves You« singt, ist nicht bloß der Stress des jungen Soldaten, der aus dem sinnlosen Falkland-Krieg heimkehrt. Es geht um die Wunden, die einem das Leben in jungen Jahren schlägt, die Verletzungen, die immer bleiben, weil Zeit eben nicht alle Wunden heilt. Manche reißen Löcher ins Leben, die nicht zu schließen sind. Die Verwüstungen, die der Verlust einer Liebe vor 50 Jahren hinterlassen hat, können ein Leben lang nachwirken. Als einziger, letzter, verzweifelter Versuch bleibt vielleicht die Kunst. Das oft vergebliche Bemühen zu überwinden, zu verstehen, klarzukommen als emotionaler Invalide. Und hier ist tatsächlich mal der Weg das Ziel: Selbst wenn die Heilung durch Kunst ausbleibt, was bleibt, ist die Kunst.

Thompson gleicht einem japanischen Meisterschmied, der sein Handwerk immer weiter verfeinert, es zu einer Kunstfertigkeit gebracht hat, die nur durch Hingabe, Sturheit und Jahrzehnte der Praxis zu erreichen ist. Sein Gitarrenstil wird in der britischen Presse häufig als »muscular« beschrieben, ein unglaublich bescheuertes Adjektiv, das aber nicht ganz unpassend ist für seine zum Rock tendierende Folkgitarre (oder umgekehrt), die klar, prononciert und schnörkellos seine Songs seit fast 60 Jahren akzentuiert.

Produziert hat Thompson wieder selbst, weicht aber kaum vom Stil seines langjährigen Produzenten Mitchell Froom ab, der mit Thompsons Alben der 1990er einige seiner besten Produktionsarbeiten abgeliefert hat. Froom hatte Thompsons Sound die passende Tiefe und Wärme gegeben, die seine perlenden, kraftvollen Soli angemessen akzentuieren. Eine Tiefe und Wärme, die den vorherigen Alben mit dem eigentlich deutlich zuverlässigeren Produzenten Joe Boyd oft fehlte. »Ship to Shore« wurde großteils live aufgenommen mit seinen gut eingespielten Tourmusikern Taras Prodaniuk am Bass und Michael Jerome am Schlagzeug. Dazu gesellt haben sich unter anderem der Geiger David Mansfield (ein alter Weggefährte von Loudon Wainwright III) und Thompsons Partnerin Zara Phillips als Sängerin.

Thompson ist es mit »Ship to ­Shore« gelungen, mit 75 Jahren ein Album aufzunehmen, das mit Klassikern wie »Shoot Out the Lights« und »Rumor & Sigh« mehr als nur mithalten kann. Die Konstanz seines Songwritings über die Jahrzehnte ist beeindruckend. In der Mitte seiner achten Lebensdekade dem eigenen Schaffen einen weiteren Höhepunkt hinzuzufügen, das schaffen wahrlich nur wenige.

Richard Thompson: »Ship to Shore« (New West)

Großes Kino für kleines Geld!

75 Augaben für 75 €

Leider lässt die Politik das große Kino vermissen. Anders die junge Welt! Wir liefern werktäglich aktuelle Berichterstattung und dazu tiefgründige Analysen und Hintergrundberichte. Und das zum kleinen Preis: 75 Ausgaben der gedruckten Tageszeitung junge Welt erhalten Sie mit unserem Aktionsabo für nur 75 €!

Nach Ablauf endet das Abo automatisch, Sie müssen es also nicht abbestellen!

Mehr aus: Feuilleton