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Aus: Ausgabe vom 02.07.2024, Seite 11 / Feuilleton
Rock

Schneller als ihr Schatten

Unsung Heroes (25): Night Sun
Von Frank Schäfer
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Ziehen am Metronom locker links vorbei: Night Sun (1972)

Night Sun waren so eine Art Auffangbecken für talentierte Musiker aus dem Mannheimer Raum. Ständige Formationswechsel prägten ihre kurze Existenz. Als Jazzer unter dem Namen Take Five gestartet, entwickelten sie sich schließlich zu einer wilden Heavy-Prog-Band, die nicht ohne Grund gute Verbindungen zu Kin Ping Meh und Twenty Sixty Six And Then unterhielt. In der Besetzung Bruno Schaab am Bass und Mikro, Walter Kirchgässner (Gitarre), Knut Rössler (Keyboards) und Ulrich Staudt an den Drums unterschrieben sie schließlich einen Deal bei Zebra, dem Krautrock-Unterlabel von Polydor, und nahmen unter der technischen Leitung des bald sehr bekannten Conny Plank ihr einziges Album auf.

»Mournin’« von 1972 klingt an manchen Stellen wie Deep Purple on Speed. Tatsächlich erkennt die »Encyclopaedia Metallum« in den Chaosstücken »Plastic Shotgun«, »Nightmare« oder ihrer heimlichen Hitnummer »Crazy Woman« so eine Art Thrash Metal avant la lettre. Kann man, muss man aber nicht. Dafür sind die Kompositionen zu vertrackt, zudem haben die beiden begabten Solisten Kirchgässner und Rössler eindeutig zu viel Spaß am Jam. Aber ganz falsch ist es auch wieder nicht. Night Sun gehen im Studio an ihre Grenzen und ziehen am Metronom locker links vorbei. Dass sie hier ohne Netz und doppelten Boden musizieren, merkt man an den furios verhuschten Soli. Da ist die rechte Hand bisweilen schneller als die linke. Diese Zügellosigkeit weist schon voraus auf frühe New-Wave-of-British-Heavy-Metal-Bands wie Jaguar oder Raven, die ebenfalls schneller zogen als ihr Schatten.

»Got a Bone of My Own« und »Slush Pan Man« sind behäbiger und haben eine ziemliche Proto-Doom-Schlagseite. Man könnte beinahe an Lucifer’s Friend oder sogar Black Sabbath denken, aber dazu passt dieses garagenmäßige Gitarrengeschepper nicht, das auf bloße Endstufenverzerrung setzt und noch ganz ohne Distortionpedal auskommt. Der gute Shouter Schaab erinnert ein wenig an Klaus Meine, und seine Screams imitieren Plant – in diesem sonischen Kontext gibt es sicherlich schlechtere Referenzen.

Etwas eigenwillig ist der Sound. Conny Plank hat sein Pult schon genutzt, legt immer mal wieder einen Riesenhall oder Phasenverschiebungseffekt drüber, um es verkrauteter klingen zu lassen, macht die Band aber auch nicht druckvoller und schon gar nicht heavier. Man sieht hier immer noch die Salpeterausblühungen des Mannheimer Übungskellers und muss am Ende wohl einfach konzedieren, dass Plank zu Heavy Rock produktionstechnisch nicht viel einfällt. Mit Martin Birch oder Dieter Dirks hinter den Reglern und vielleicht etwas mehr Zeit in den Hamburger Wind­rose-Studios hätte das noch ganz anders klingen können, aber dann wäre auch diese kalkulierte Ambivalenz verloren gegangen. Man hat den Eindruck, dass Night Sun richtig Anlauf nehmen, um sich genau zwischen die Stühle zu pflanzen.

Dummerweise erntete die Band nicht die Lorbeeren, die sie verdient gehabt hätte. Die vier sind Local Heroes und machen die Klubs im Dreiländereck nass, aber nicht mehr. Harte Rockmusik scheint sie ohnehin bald zu langweilen. Als Hauptsongwriter und Hendrix-Aficionado Kirchgässner 1973 die Band in Richtung Nine Days’ Wonders verlässt, lösen sie sich folgerichtig auf. Schaab kollaboriert kurz mit den Kraut-Avantgardisten Guru Guru und Rössler startet jetzt erst richtig durch als Saxophonist und Flötist in Jazz- und Fusion-Bands. Dass er das auch ganz gut kann, stellt er beim abgefahrenen Schlusstrack »Don’t Start Flying« unter Beweis, der harten Garagenrock und räudigen Free Jazz mit Gewalt und Spucke zusammenzuzwingen versucht. Das funktioniert zwar hinten und vorne nicht, aber ihr grandioses Scheitern lässt die Funken sprühen, dass man trotzdem nicht weghören kann.

»Mournin’« bleibt somit ihr einziger, aber um so vitalerer Existenzbeweis. Das Album ist ein Zeitdokument, das Mut, Aufbruchstimmung und Hybris der frühen Siebziger in sich aufgesogen hat.

Night Sun: »Mournin’« (Zebra)

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