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Aus: Ausgabe vom 28.06.2024, Seite 16 / Sport
Fußball-EM

Alle hassen die Gruppe C

Die Vorrunde der Fußball-EM ist vorbei. Ein Resümee
Von René Hamann
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Attraktiv können die anderen: Englische Nationalmannschaft

Es war am noch frühen Dienstag abend, als man durchaus zu sagen geneigt war, die EM 2024 sei bislang überaus gelungen. Es gab erfrischenden, mitunter begeisternden Fußball von guter Qualität zu sehen, auch, was Taktik, Geschwindigkeit, Effizienz, Leidenschaft und Spielverständnis betraf. Es gab tolle, mitreißende Spiele eher einseitiger Natur (das 5:1 Deutschlands gegen Schottland, das 1:0 von Spanien gegen Italien) und diese, die ob ihrer Offenheit so mitreißend waren – allen voran sei das 3:2 (Córdoba-Ergebnis!, wie man in Wien sagt) des nicht mehr so geheimen Geheimfavoriten Österreich über die B-Elf der Niederlande genannt. Sogar die Organisation und das Styling waren ansprechend – bis auf die Deutsche Bahn schien sich lange niemand zu blamieren, und das Adidas-Farbenspiel auf Plätzen und Tribünen vertrug sich sehenswert mit den transportierten Fernsehbildern. Sieht man mal davon ab, dass Traditionalisten wie meiner einer nur schwerlich über ganz in weiß spielende Deutsche, ganz in orange spielende Holländer (statt weiß-orange) und ähnliche Away-Shirt-Blödheiten hinwegkommen. Away damit!

Aber wie gesagt, das war noch am frühen Dienstag abend. Am späten Dienstag abend hieß es:

Alle hassen die Gruppe C. Die EM könnte so schön sein – wäre da nicht die Gruppe C. Denn in der spielt England. Und Slowenien und Serbien (zum Glück schon raus). Dazu noch Dänemark, aber die können gar nicht so viel dafür. Und an diesem Dienstag abend (25. Juni) spielten sie allesamt torlos. Vier Teams, zwei Spiele, vier unnütz hingestellte Tore mit Netz und allem.

Nun muss es, hieß es einträchtig danach im Fernsehen, solche Abende auch geben bei einer EM. Wäre ja zu schön, wenn immer nur guter Fußball zu sehen wäre. Jede favorisierte Nation muss einmal durch so ein Tal, fachsimpelte man – erinnert sei hier an Spiele der DFB-Teams wie gegen Ghana oder eben Serbien bei vergangenen Turnieren. Das schärft die Sinne, das bereitet vor für die Endphase, da muss man sich dann anpassen. Hieß es.

England spielte vom Treffer zum 1:0 gegen Serbien an schon so, als wäre K.-o.-Runde und noch 2004: Vorne eins machen, dann hinten zu. Attraktiv können die anderen. Attraktiv fährt früh nach Hause. Gareth Southgate, legendärer Elfmeterschießenfehlschütze und jetziger Three-Lions-Coach, wurde daraufhin von Minute zu Minute unsympathischer, sogar unfähiger, jedenfalls in den Augen von Fans und Experten. Und die müssen es ja wissen.

Wobei er lediglich versucht, französischen Fußball à la Didier Deschamps – der ist schließlich auch noch im Amt und macht das seit Jahren – spielen zu lassen. Also eine Truppe voller begnadeter Körper in ein strenges defensives Korsett pressen, vorne hilft halt der eine Superstar mit einem Superstarmoment. Und England hat da, jedenfalls den Namen nach, mehrere von.

Also kick and wait, statt kick and rush. Scheint auch tatsächlich all they can do zu sein. Englands Superstartruppe stümperte sich durch die Vorrunde und konnte froh sein, dass minderbemittelte Serben und Slowenen nicht besser konnten und sich die Dänen mit einem 1:1 schon auf Augenhöhe wähnten. Also mit dem imaginären England, dem Superengland, dem großen Favoriten.

Doch nicht nur aus fußballästhetischen Gründen ist den Engländern ein frühes Aus, bitte schon im Achtelfinale, zu wünschen, ebenso den Franzosen und Italienern. Während letztere zumindest mit einer Leidenschaft spielen, die ihre minderen Offensivqualitäten übertünchen kann – Gianluca Scamacca beispielsweise erinnert nicht grundlos an Carsten Jancker, nur ohne dessen Torgefahr.

Geht man also nach der Vorrunde, sollte die Reihenfolge ungefähr so sein: Titel geht an Spanien; Deutschland, Österreich, Holland könnten Halbfinale; Portugal, Italien, Frankreich und Team X (Belgien?) Viertelfinale. Wenn nicht der Turnierbaum so schief stünde, dass Deutsche und Spanier sowie Holländer und Ösis schon im Viertelfinale aufeinanderträfen.

Auffallend also: West-Ost-Gefälle. Aber kein Wunder, ist ja auch sonst so, und nicht nur im Fußball. Die Kroaten haben die goldenen Zeiten mal wieder hinter sich, sie sind raus mit Applaus. Nachfolger (Ungarn enttäuschte; Bulgarien erst gar nicht dabei) sind keine in Sicht. Die Überraschungsmannschaft kommt aus Georgien. Die Slowenen, die Slowaken und die Rumänen sind auch noch dabei.

Und individuell so? Die Stars sind eben die Stars. Da sind die, die schon etwas fußlahm in den Sonnenuntergang reiten (Lewandowski, Modrić, Kroos, CR7); die, die maskenbewehrt der Zukunft harren; die, die ein Versprechen sind (Jamal, Pedri, Musiala, Wirtz), das mal gehalten wird und mal nicht (Jamal, Pedri, Musiala, Wirtz). Es gibt ein paar neue Namen, die man sich merken muss (Calafiori, Gakpo, der Albaner Asani) und eine ganze Menge, die man gleich wieder vergessen kann. Torschützenkönig könnte tatsächlich Füllkrug werden – gute, alte deutsche Mittelstürmerschule, kann man immer mal brauchen.

Und die Stimmung ist die Stimmung. Es wird viel geraunt vom Sommermärchen 2.0, zu dem bislang vor allem die Gäste beitragen, allen voran die Schotten, die Österreicher, die Holländer. Ja, genau die, über die man früher noch froh war, dass sie nicht dabei waren. Alles in allem scheint etwas weniger politisch korrekte Scheinheiligkeit rund um das Turnier auf, es findet halt nicht in Katar oder Saudi-Arabien statt. Und sogar bei Ukraine-Spielen lässt sich der Eurozentrismus als vergleichsweise bescheiden wahrnehmen. Wie gesagt, eigentlich ganz angenehm bisher, diese EM.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (28. Juni 2024 um 00:03 Uhr)
    Also nicht Füllkrug, sondern Fülltor, oder?

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