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Aus: Ausgabe vom 29.06.2024, Seite 4 / Inland
»Budapest-Komplex«

Schneller als Karlsruhe erlaubt

»Budapest-Komplex«: Beschuldigte Maja T. innerhalb weniger Stunden von Dresden nach Ungarn verbracht. Verfassungsgericht ordnet Rückholung an
Von Marc Bebenroth
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Was Betroffenen in Ungarn droht, ist Antifaschisten schon länger klar. Solidaritätskundgebung in Nürnberg (6.5.2024)

Sie wollten keine Zeit verlieren. Noch vor Sonnenaufgang haben am Freitag Beamte der berüchtigten »Soko Linx« des sächsischen Landeskriminalamtes (LKA) auf Geheiß der Berliner Generalstaatsanwaltschaft Maja T. aus einer Zelle der Justizvollzugsanstalt Dresden geholt und an die deutsch-österreichische Grenze verbracht. Um zehn Uhr soll T. bereits an die ungarischen Behörden übergeben worden sein. Doch die Nacht-und-Nebel-Aktion muss wieder rückgängig gemacht werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht nur 50 Minuten später entschieden. Damit gab Karlsruhe dem Eilantrag der Anwälte von T. statt.

Die »Übergabe« an die ungarischen Behörden »wird bis zur Entscheidung über die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Wochen, einstweilen untersagt«, heißt es in der Mitteilung zum Beschluss. Maja T. wird von der ungarischen Justiz vorgeworfen, seit 2017 Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein. Deren Ziel soll es gewesen sein, »Sympathisanten der extremen Rechten in zahlenmäßiger Überlegenheit koordiniert und unter Einsatz vor allem von Teleskopschlagstöcken anzugreifen«. T. wurde im Dezember 2023 in Berlin festgenommen und soll vom 9. bis zum 11. Februar 2023 gemeinsam mit anderen Angriffe am Rande des »Tags der Ehre« in der ungarischen Hauptstadt verübt haben. Damals hatten sich rund 2.000 Faschisten zu einem Aufmarsch und Gedenken an die Waffen-SS in Budapest getroffen.

Mit der Entscheidung wurde die Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom höchsten deutschen Gericht angewiesen, »durch geeignete Maßnahmen eine Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden zu verhindern und seine Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken«. Doch als die Berliner Behörde und T.s Anwalt »gegen 11.00 Uhr fernmündlich« informiert wurden, war es bereits zu spät: Eine knappe Dreiviertelstunde verging, ehe eine E-Mail bei Karlsruhe einging mit der Information, T. sei längst in den Händen der ungarischen Kollegen.

Wie das juristische Fachportal Legal Tribune Online am frühen Freitag nachmittag berichtete, sollen die deutschen Anwälte zu dem Zeitpunkt keinen Kontakt zu Maja T., gehabt haben. Es sei ihnen vor Ort auch gar nicht möglich, tätig zu werden. Die Verteidiger hätten aber »Kontakt mit einem Korrespondenzanwalt in Ungarn, der die Betreuung von Maja übernehmen soll«. Einer der Anwälte, Sven Richwin, ging auf Anfrage von junge Welt davon aus, dass die besondere Eile des LKA Sachsen »sicherlich auch« dazu diente, »Rechtsschutzmöglichkeiten zu verhindern«. Angela Furmaniak, Vorstandsmitglied des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), äußerte sich gleichlautend in einer Mitteilung.

Aus Sicht der Generalstaatsanwaltschaft Berlin war alles ordnungsgemäß abgelaufen. »Das Auslieferungsverfahren entspricht den Abläufen bei einem Europäischen Haftbefehl«, teilte die Behörde mit. Das Kammergericht Berlin hatte mit seiner Entscheidung vom Donnerstag grünes Licht gegeben. Es bestünden keine »Auslieferungshindernisse«. So sei »nicht ersichtlich, dass es in dem ungarischen Verfahren zu staatlichen Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit und dadurch zu einer Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren komme«. Außerdem seien von ungarischer Seite »menschenrechtskonforme Haftbedingungen« zugesichert worden.

Das dürfte kritische Juristen kaum überzeugen. Mit Blick auf den mutmaßlichen Umgang der ungarischen Justiz mit Angehörigen der LGBTQ+-Community, der sich Maja T. zurechnet, prangerte Furmaniak die Behördenaktion an. »Eine queere Person in ein offen queerfeindliches System wie Ungarn zu schicken verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.« Das ungarische Justizsystem entspreche nicht »den rechtsstaatlichen Standards«, erklärte der RAV. Maja T. werde »dort kein faires Verfahren erwarten«.

Dies zeige auch der Fall der Italienerin Ilaria Salis. Salis war ebenfalls wegen mutmaßlicher Angriffe auf Neonazis am »Tag der Ehre« 2023 in Ungarn festgenommen worden. 15 Monate verbrachte sie in ungarischer Untersuchungshaft. Die Haftbedingungen seien alarmierend gewesen, erklärte sie laut Euronews-Bericht vom Mittwoch an ihrem ersten Tag als EU-Abgeordnete.

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