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Aus: Ausgabe vom 29.06.2024, Seite 5 / Inland
Energiepolitik

Washington am Zapfhahn

Spatenstich für erstes landgebundenes LNG-Terminal in Stade. Umweltschützer klagen gegen Genehmigung
Von Ralf Wurzbacher
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Alles bereit, kann starten in Stade: Anlanden von dreckigem, verflüssigtem Erdgas

Darf es noch ein Schluck mehr sein? Der Durst der Ampelregierung nach dreckiger Energie ist offenbar unstillbar. Am Freitag erfolgte in Stade an der Elbe der Spatenstich für das erste stationäre LNG-Terminal in Deutschland. Neben planmäßig sechs schwimmenden Anlagen soll der Standort künftig einer von drei landgestützten Umschlagplätzen für vornehmlich aus den USA eingeschifftes Frackinggas sein. Die Gesamtkapazität soll bei jährlich 13,3 Milliarden Kubikmetern liegen, die Baukosten werden auf eine Milliarde Euro veranschlagt, der Betriebsstart ist auf Jahresanfang 2027 datiert. Umweltschützer laufen Sturm gegen das Projekt, Mitte März hatten sie vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVG) in Leipzig Klage gegen dessen im November 2023 ergangene Genehmigung eingereicht.

Das Vorhaben verstoße gegen das vom Niedersächsischen Landtag beschlossene Klimaschutzgesetz, das Treibhausgasneutralität bis 2040 festschreibt. Zudem monieren der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gravierende sicherheitsrelevante Fehler und unzureichende Nachweise zur Umrüstbarkeit der Anlage auf klimaneutrale Gase. Gemäß LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG) müssen Betreiber dafür Sorge tragen, dass ein neuerrichtetes Terminal spätestens im Jahr 2044 für verflüssigtes Ammoniak nutzbar sein wird. Der Stoff wäre zwar CO2-neutral, ist aber akut toxisch und könnte bei Freisetzung verheerende Schäden in den Gewässerlebensräumen der Elbe mit ihren schon jetzt gefährdeten Fischarten anrichten. Die Antragsteller hätten laut BUND Gefährdungsszenarien wie Lecks nicht ausreichend geprüft und mögliche Katastrophen wie Schiffshavarien bei Sturmfluten unterschätzt.

Das Terminal wird vom spanischen Unternehmen Técnicas Reunidas hochgezogen und dereinst vom Netzbetreiber Enagás betrieben werden. Beteiligte des bei dem Projekt federführenden Konsortiums Hanseatic Energy Hub (HEH) mit Sitz in Hamburg sind außerdem der Hafenlogistiker Buss-Gruppe, die Schweizer Private-Equity-Firma Partners Group sowie der US-Chemiekonzern Dow. Die Vereinbarung gilt zunächst für 15 Jahre und kann nach Ablauf um 25 Jahre verlängert werden. Bis zum Betriebsstart soll in Stade ein Terminal auf dem Wasser für LNG-Nachschub sorgen. Das von der Bundesregierung eingesetzte Spezialschiff »Energos Force« kam Mitte März an. Allerdings verzögern Restarbeiten die Inbetriebnahme, der erste LNG-Tanker aus Übersee soll im zweiten Halbjahr vor Anker gehen. Zwei weitere Landterminals sollen in Wilhelmshaven und Brunsbüttel entstehen.

Den symbolischen Baubeginn ihres Vorläufers in Stade erledigten gestern Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Tschechiens Industrieminister Jozef Síkela. Der tschechische Energiekonzern ČEZ hat sich auf lange Sicht Kapazitäten in Stade gesichert, im Umfang von pro Jahr zwei Milliarden Kubikmetern. Tschechien wolle wie die BRD seine Abhängigkeit von russischem Gas überwinden, heißt es. Die deutsche LNG-Offensive erscheint in vielerlei Hinsicht unausgegoren, nicht nur, weil sie klima- und umweltpolitisch eine Geisterfahrt ist. Während der Erdgasverbrauch immer weiter sinke, würden fossile Überkapazitäten geschaffen, die die Klimaziele »eindeutig sprengen«, moniert der BUND. Zudem stärke Deutschland damit die zerstörerische US-Frackingindustrie.

Wenig durchdacht wirkt auch die deutsche Marschrichtung, sich in puncto Energieversorgung aus einer Abhängigkeit, der von Moskau, in eine andere zu begeben, die von Washington. Tatsächlich hatte US-Präsident Joseph Biden Ende Januar die Genehmigung neuer Lizenzen für die LNG-Ausfuhr auf unbestimmte Zeit gestoppt und seine deutschen »Wertepartner« damit ziemlich doof aussehen lassen. Vorgeblich tat er dies aus Klimaschutzgründen. Jedenfalls soll das Moratorium mindestens bis zu den US-Wahlen im November fortdauern. So lange könnte Deutschland an der Theke ziemlich trockenlaufen, was die Frage aufwirft: Was bringt der größte Zapfhahn, wenn der Wirt Tausende Kilometer weit weg ist.

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