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Aus: Ausgabe vom 29.06.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Permanente Finanzkrise

Endstation Junk-Bonds

US-Investoren befeuern Nachfrage nach Firmenschuldverschreibungen – die Fed schaut zu
Von Klaus Fischer
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New York Stock Exchange. Goldman Sachs nennt »Nachfrageboom an Schulden« paradox

Wer braucht schon noch die Federal Reserve? Obwohl die US-Notenbank »Marktprognosen« hinsichtlich eines Feuerwerks von Zinssenkungen in diesem Jahr bislang ignoriert hat, schaffen die Märkte ihr eigenes Zinsniveau. Insbesondere trifft das anscheinend für Schulden von Unternehmen zu. Dem Phänomen widmete sich am Donnerstag ein Beitrag der Financial Times (FT), der zum Teil mit Skepsis, aber auch mit Sorgen kommentiert wurde. Demnach seien die Zahlen durchaus beeindruckend.

Laut FT wurden 2024 bislang Unternehmensschuldverschreibungen (Bonds) im Volumen von fast 400 Milliarden US-Dollar (374 Milliarden Euro) neu bepreist. Dieses »Repricing« habe nicht nur die Zinslast der Unternehmen gesenkt, sondern auch deren Verhandlungsposition deutlich gestärkt – obwohl die Fed ihr 23-Jahres-Hoch beim entsprechenden Leitzins von 5,25 bis 5,50 Prozent bislang nicht angerührt hatte. Fast schient es so, als ob sich hier die Machtverhältnisse zwischen Gläubiger und Schuldner umgekehrt hätten.

Als Auslöser dieser Entwicklung macht die Zeitung das Zögern der Notenbank, die verzweifelte Suche »nach Anlagevehikeln«, die riskante Kredite umpacken und verkaufen, sowie von Fondsmanagern aus. Dies habe dazu geführt, dass die Investoren »um einen begrenzten Kreditpool« kämpften, zitierte das Blatt einen Portfoliomanager. »Es gibt nichts anderes zu kaufen. Das heizt nur die Neupreiswelle an.«

Die FT interpretiert die aktuellen Zahlen als einen »Schub für hochverschuldete Unternehmen«. Diese hätten unter dem Zögern der Fed gelitten. Noch im Januar hätten die Anleger sechs oder sieben Zinssenkungen in diesem Jahr erwartet. Jetzt hofften sie lediglich noch auf zwei. Das habe die Position der Schuldner gestärkt. Zugleich führte die Notenbankpolitik und der boomende »Appetit der Investoren auf Junk-Darlehen« zu einer Lockerung der Finanzierungsbedingungen für die gesamten USA.

Den Effekt dieser damit bewirkten Zinssenkung für die Unternehmen bezifferten die Investmentbanker von Goldman Sachs laut FT als ein »Äquivalent von zwei Viertelpunkten der Fed-Kürzungen«. Die aktuelle Situation sei »paradox«, zitierte die FT Goldmans Chefkreditstrategen Lotfi Karoui. »Der verzögerte Start in den Lockerungszyklus hat tatsächlich die Zuflüsse in Bankkredite als Anlageklasse erhöht – und das erhöht die Preise, indem er sie über Par oder um Par (Investorensprech für ›Nennwert‹ einer Anleihe, jW) drängt und die Wirtschaftlichkeit der Neubewertung für Kreditnehmer ziemlich attraktiv macht.«

Manchen Beobachtern kommt die Entwicklung nicht neu vor. Zwischen »Dotcomkrise« (um die Jahrtausendwende) und einer sich möglicherweise anbahnenden AI-Krise (nahezu alles, was mit »künstlicher Intelligenz« zu tun hat, wird derzeit spekulativ extrem überbewertet), gab es die sogenannte Subprime-Krise 2007. Die artete schnell zu einer globalen Finanzkrise aus, an deren Folgen das gesamte (US-Dollar basierte) globale Finanzsystem auch heute noch leidet.

Als Initialzünder wurden damals die »Verpackungskünstler« diverser Banken ausgemacht. Diese hatten ausfallgefährdete Darlehen von US-Hauskäufern (»Subprime« war eine Umschreibung für »Junk«, also Müll) mit etwas besser bewerteten Bonds vermischt und als neue Finanzprodukte auf den globalen Finanzmärkten verramscht. Als dann die Zahlungsausfälle der Subprime-Kunden zu einer Kettenreaktion führten, saßen plötzlich Geldinstitute und Anleger weltweit auf den Müllpapieren und gerieten ihrerseits in Zahlungsnot.

Die daraufhin gestarteten »Rettungsaktionen« von US-Finanzoligarchie und diversen Regierungen (in der BRD wurden seinerzeit CDU-Kanzlerin Angela Merkel und Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann als Retter inszeniert) kosteten nicht nur Riesenunternehmen wie der damals drittgrößten Versicherungsgesellschaft AIG fast die Existenz, sondern stürzten die globale Wirtschaft in eine mehrjährige Krise und diverse Staaten in die Zahlungsunfähigkeit. Zwar wurde AIG vom US-Staat mit 150 Milliarden US-Dollar vor der Pleite bewahrt. Doch das damals fast ins uferlose betriebene Spiel, Geld einfach zu »erzeugen«, entfaltete seine Wirkungen bis in die Gegenwart – wie die hoffnungslose Überschuldung des US-Staates und die »verzweifelte Suche« von Investmentgesellschaften nach profitablen Anlagemöglichkeiten zeigt.

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