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Aus: Ausgabe vom 01.07.2024, Seite 8 / Inland
Mobilität

»Die Privatisierung der Bahn ist kein Erfolgsmodell«

Hessen: CDU-Parteitag beschließt Forderung nach Ende des 49-Euro-Tickets. Ein Gespräch mit Klaus Zecher
Interview: Gitta Düperthal
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Dann sollen sie doch Autos kaufen: Wahlwerbung der CDU in Hessen (Frankfurt am Main, 29.9.2023)

Die Hessen-CDU hat auf ihrem Parteitag am 22. Juni den Beschluss gefasst, das Deutschlandticket für 49 Euro abschaffen zu wollen: Die Landesregierung und die CDU-Landesgruppe im Bundestag mögen sich beim Bund für ein Ende des 49-Euro-Tickets einsetzen. Ist Hessen, mit einer CDU/SPD-Regierungskoalition, das einzige Bundesland, in dem die CDU sich so äußert, und wie kam es dazu?

Bei der Ministerpräsidentenkonferenz Ende 2023 gab es solche Vorstöße aus konservativer Ecke. Auch in Hessen ist das nicht neu. Die hessische CDU machte vor der Landtagswahl 2023 Wahlwerbung für sogenannten freien Autoverkehr. Im Sinn der Autolobby kehrte sie einer notwendigen Mobilitätswende den Rücken zu und warb populistisch: Einschränkungen soll es nicht geben. Weiter geht es darum: Wenn beim öffentlichen Personennahverkehr, kurz ÖPNV, das Geld knapp wird, soll man dann in soziale Teilhabe oder in Prestigeprojekte investieren? Der Bund, zuständig für den Ausbau der Infrastruktur und Neubau von Strecken, will seinerseits beim ÖPNV sparen, um mehr Geld in die Aufrüstung zu stecken. Statt der notwendigen Aufgabe der Versorgung mit Zügen und Personalhaltung selber nachzukommen, lässt die Bahn AG dies überwiegend von Fremdfirmen erledigen. Das führte zu Personalabbau und Privatisierung. Im Jahr 2023 stiegen die Schulden mit rund 34 Milliarden auf ein Rekordhoch an.

Was sagen Sie zur Argumentation der Hessen-CDU, in den nächsten Jahren sei eine Kostensteigerung von bis zu vier Milliarden Euro zu erwarten, weshalb die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs auszubauen sei und erst danach könne in das 49-Euro-Ticket investiert werden?

Das sind komplett falsche Voraussetzungen. Denn die Finanzierung der Instandsetzung und des Neubaus von Strecken regelt langfristig der Bund durch einen Vertrag mit der DB AG. Für den laufenden Verkehr stellt der Bund den Bundesländern zudem jährlich sogenannte Regionalisierungsmittel zur Verfügung. Das Problem ist: In der Zeitspanne der CDU-geführten Bundesregierung wurde zu wenig Geld in den öffentlichen Schienenverkehr gesteckt, weshalb der jetzt im maroden Zustand ist. Jetzt obendrein die Attraktivität des Angebots des »Deutschlandtickets« zurückfahren zu wollen, damit weniger Menschen mit dem Zug fahren – nichts anderes ist in der Konsequenz beabsichtigt – ist ein sozialpolitisches Debakel. Es trifft vor allem die arbeitende Bevölkerung, die jeden Tag zur Arbeitsstelle pendelt. Die CDU will also genau jene bestrafen, die sie stets lobend hervorhebt, weil sie den Produktionsprozess in Deutschland aufrechterhalten. Sie müssen dann höhere Fahrpreise für den Weg zur Arbeit zahlen.

Wie ernst ist der CDU-Parteitagsbeschluss zu nehmen?

Das Problem ist das Signal, das davon ausgeht. Es ist ein Vorstoß, um alle Anstrengungen zur Verkehrswende und für Klimaschutz zu negieren.

Ist es nicht unpopulär, gegen eine der wenigen sozialen und ökologischen verkehrspolitischen Errungenschaften angehen zu wollen?

Momentan erfährt die Autolobby großen Zuspruch. Die Autokonzerne versuchen ständig, die Stimmung im Land für mehr Straßenbau und Autoverkehr zu beeinflussen. Hinzu kommt: Die Privatisierung der Bahn ist kein Erfolgsmodell. Also macht die CDU jetzt Druck, dass weniger Menschen mit Zügen und Bussen fahren sollen.

Das hessische Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende, SVM, in dem sich Gewerkschaften, Kirchen, Sozial- und Umweltverbände zusammengeschlossen haben, sagt: »Das Deutschlandticket muss erhalten bleiben.«

Wir sagen außerdem: Es muss ausgebaut werden. Alle Teile der Bevölkerung müssen die Möglichkeit haben, den ÖPNV zu nutzen. Wir fordern ein kostenfreies Bildungsticket für Schüler, Auszubildende und Studierende. Ansätze für weitere günstige Ticketpreise gibt es: zum Beispiel das Sozialticket in Hessen. Menschen, die Bürgergeld, Wohngeld oder Sozialhilfe empfangen, zahlen für das Monatsticket 31 Euro. Das ist aber noch zu teuer. Die Finanzierung des »Deutschlandtickets« muss als zusätzliche Haushaltsstelle im Bundeshaushalt und den Länderhaushalten dauerhaft abgebildet sein. Gerade das Angebot im ländlichen Raum muss verbessert werden, was den Ausbau der Schieneninfrastruktur erfordert.

Klaus Zecher ist Sprecher vom ­Fahrgastverband Pro Bahn Hessen

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