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Nashörner

Von Helmut Höge
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Die Klimaforscher Werner Krauß und Hans von Storch warnten ihre Kollegen im Buch »Die Klimafalle« (2013), sich der Politik anzudienen. Die Wissenschaft, die den Staat unterstützt, wird zusammen mit ihm vom Markt geschluckt. Die Politiker sind auch gar nicht in der Lage, etwas gegen die Klima­erwärmung zu tun, höchstens können sie sich für solche Ökoprojekte engagieren, die ökonomisch profitabel sind oder es zumindest versprechen. Aber »wenn sie die Ökologie ökonomisieren, fügen sie bloß einer schwindelerregenden Vielfalt eine weitere hinzu«, gibt der Wissenssoziologe Bruno Latour in seinem Buch »Kampf um Gaia« (2017) zu bedenken.

Und die Wirtschaft? Der Chef von Shell etwa, Wael Sawan, ist den Anteilseignern verpflichtet, deswegen muss er genau prüfen, ob sein Konzern in diese Richtung »weiter aktiv bleiben« will. »Wir wollen unbedingt weniger Kohlenstoff emittieren, aber der Weg dahin muss profitabel sein«, sagte er 2023. Investitionen im »fossilen« Bereich bringen »mindestens 15 Prozent Rendite«, aber solche in »erneuerbare Energie nur fünf bis acht Prozent«.

Shell ist wie so viele andere große Konzerne ein »Global Player«, Nutznießer der von Reagan und Thatcher beschleunigten »Globalisierung«. Die Globalisierung wollen manche Linke und NGOs (etwa Greenpeace) auch für sich reklamieren, was sich etwa in der Parole »Lokal handeln – global denken« zeigt oder in der Idee einer »Weltregierung«. Aber, schreibt Latour, »genau dieser Utopie dürfen wir nicht auf den Leim gehen. Wir stoßen hier wieder auf die Figur des ›Globus‹, die nicht nur unmöglich, sondern moralisch, wissenschaftlich und politisch tödlich ist. (…) Sollten Sie sich wundern, dass man den ›Wald‹ sprechen lässt, dann müssen Sie sich auch darüber wundern, dass ein Präsident als Vertreter von ›Frankreich‹ spricht.«

Zwar müssen wir dem Staat »die Flötentöne beibringen«, aber wichtiger ist noch, sofern die »Demokratie neu beginnen soll«, dass dies »von unten her« geschieht. Das trifft sich laut Latour gut, denn »es gibt nichts Niedrigeres als den Boden«. Und der ist für uns »Erdverbundene« (im Gegensatz zu den zum Mars flüchtenden Amimilliardären) unabdingbar. Alle Bodenforscher sind sich darin einig. Einen Überblick bieten Christiane Grefe und Tanja Busse in ihrem Buch »Der Grund« (2024), wo sie schreiben: »Wie wir mit dem Land, mit den Flächen umgehen, ist die zen­trale Zukunftsfrage.«

Die Vernachlässigung dieser »Grundlage« zeigt, dass wir nie materialistisch genug gedacht haben. Und wenn doch, dann wurde es ganz idealistisch und furchtbar falsch. 2016 veröffentlichten der Journalist John Mbaria und der Ökologe Mordecai Ogada eine Kritik des Naturschutzes in Kenia (»The Big Conservation Lie«). In einem Geo-Interview aus dem Jahr 2020 sagte Ogada: »Man muss nicht nach Afrika gehen und Elefanten retten. Naturschutz in Afrika ist eine Form von Selbstverwirklichung geworden. Gott sei Dank hat Jeff Bezos, der reichste Mann der Welt, noch kein Interesse an der afrikanischen Tierwelt gezeigt. Er würde uns den Rest geben.«

Immer wieder werden Dorfbewohner als Wilderer erschossen. »Geld aus Antiterrorbudgets, u. a. von den Amerikanern, fließt in den Naturschutz. So viel, dass private Sicherheitsunternehmen nach Afrika kommen. Typen, die vorher für das amerikanische Militär im Irak oder in Afghanistan gearbeitet haben. Keiner dieser Leute ist in Polizeiarbeit ausgebildet. Alles, was sie können, ist töten. Sie kommen nach Afrika, um Menschen zu töten. Weil es zuviel Geld gibt. Schutzgebiete sind ein unglaublich primitives und gewaltsames Mittel des Naturschutzes.«

Ogada erwähnt eine NGO, die in Kenia ein Schutzgebiet für Nashörner eingezäunt hat: »Dort gibt es gutes Weideland und dauerhaft Wasser. Wegen des Zauns können aber die Menschen dort ihre Herden nicht mehr tränken. Sie zerschneiden den Zaun und werden verhaftet. Das ist ein Konflikt, den es ohne Zaun nicht gäbe. Naturschutz ist nicht nur Biologie. Er ist Soziologie, Geschichte, Politik, Anthropologie. Diese Nashörner leben nicht auf einer einsamen Insel. Und somit trägt die Wissenschaft zur Apartheid bei. In den Anzeigen sieht man weiße Touristen, Savanne bis zum Horizont und sonst keine Menschen. Sie lassen mit Photoshop Dörfer verschwinden und preisen ein Produkt an, das nicht existiert. Naturschutz ist der neue Kolonialismus. Früher nahm man den Afrikanern das Land mit Gewalt ab. Heute ist das nützlichste Werkzeug, um an Land zu kommen, ein Nashorn.«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (2. Juli 2024 um 17:27 Uhr)
    Erstens fällt mir der ein: »Zwei Planeten treffen sich: ›Na, wie geht’s Dir?‹ ›Ach, nicht so gut. Ich habe Homo sapiens.‹ ›Mach’ Dir nichts draus, hatte ich auch schon. Das vergeht wieder!‹« Zweitens Isaak Asimow: »Jedes zusätzliche Kilogramm Menschheit bedeutet mit absoluter Zwangsläufigkeit ein Kilogramm nicht-menschlichen tierischen Lebens weniger.« (Die gute Erde stirbt, Spiegel 21, 1971) Der gute Asimow hat recht wohlwollend gerechnet, sicher muss mehr als ein Kilogramm tierischen Lebens durch ein Kilogramm Mensch dranglauben. Wenn eine invasive Spezies wie der Homo sapiens sapiens sich nach der Bibel richtet »Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht« (Lutherbibel 2017, 1Mo 1,28), braucht man sich nicht wundern, dass das herauskommt, was heute zu besichtigen ist.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. aus Litschau (2. Juli 2024 um 15:21 Uhr)
    Danke für diesen großartigen Text, bei mir »rennen« Sie damit offene Türen ein – doch wie kann man dieses Wissen an die vielen Anderen vermitteln, die in ihren »Glaubenssystemen« gefangen sind und blind-gehorsam den sogenannten Experten auf Schritt und Tritt folgen!

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