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Aus: Ausgabe vom 02.07.2024, Seite 5 / Inland
Verkehrspolitik

Der Asphaltlobbyist

Bündnis: Umschichtung von 20 Milliarden Euro vom Straßenbau für die Schiene. Minister Wissing macht es umgekehrt
Von Ralf Wurzbacher
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Freie Fahrt für Blechlawinen und Landschaft zupflastern: Schweres Gerät auf der A 40 am Kreuz Duisburg

Jedem ist klar: Die Deutsche Bahn (DB) braucht zig Milliarden Euro. Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) weiß das. Was macht er? Er schustert massig Geld, das eigentlich zur Schienenertüchtigung vorgesehen war, der Autobahn-GmbH des Bundes zu. Das hatte am vergangenen Freitag die Süddeutsche Zeitung (SZ) unter Berufung auf mit den laufenden Beratungen zum Bundeshaushalt 2025 Vertraute berichtet. An sich schon ein Skandal, wird dieser noch größer angesichts einer am Montag vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) vorgelegten Kurzstudie zum »aktuellen« Bundesverkehrswegeplan (BVWP). Nach den Befunden ließen sich »unmittelbar rund 20 Milliarden Euro«, die für den Neubau von Fernstraßen vorgesehen sind, einsparen und zugunsten von Investitionen in die Bahn umschichten.

Der BVWP wurde 2016 aufgelegt, gilt bis 2030 und wirkt nicht nur in puncto Finanzplanung wie ein Relikt aus grauer Vorzeit. Das Konzept fuße auf teils falschen, teils überholten Annahmen und weise für einen Großteil der Projekte ein »negatives Kosten-Nutzen-Verhältnis« auf, heißt es in besagter Analyse. Beauftragt wurde diese durch das Bündnis Klima-Allianz Deutschland, den Auto-Club Europa (ACE), die Gewerkschaft Verdi und den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Aus ihrer Sicht sind besonders die im BVWP unterstellten Verkehrsprognosen völlig aus der Zeit gefallen und stünden »in starkem Widerspruch zu den verkehrs- und umweltpolitischen Zielen der Bundesregierung«. Ohnehin sei eine Umsetzung der fast 1.400 Vorhaben »aufgrund der massiven Kostensteigerungen sowie begrenzter Personal- und Planungskapazitäten völlig unrealistisch«.

Nach der jüngsten Schätzung des Umweltbundesamtes (UBA) drohen die Mehrausgaben inzwischen rund 110 Milliarden Euro oder 40 Prozent über die ursprüngliche Kalkulation hinauszugehen und die Gesamtlasten auf 380 Milliarden Euro zu steigen. Im Bereich Schiene wären das 56 Milliarden Euro über dem Soll, bei der Straße 54 Milliarden Euro. Das könnte die Lage sogar beschönigen. Greenpeace hatte vor 15 Monaten errechnet, dass allein die 800 im BVWP mit höchster Priorität gekennzeichneten Straßenprojekte rund 100 Milliarden Euro mehr verschlingen könnten als veranschlagt. Um Steuerverschwendung und weitere Kürzungen bei der Schiene zu vermeiden, fordern die Verbände das Wissing-Ministerium auf, Neubaupläne im Straßenbau zu streichen und statt dessen knappe Finanzmittel und Personalressourcen für den Schienenverkehr einzusetzen.

Der Adressierte gibt lieber den Retter der Asphaltlobby. Wegen der Finanzengpässe im Zeichen von Hochrüstung und »Schuldenbremse« soll auch die Autobahngesellschaft Abstriche machen müssen, rund drei Milliarden Euro von 2025 bis 2027. Das geht dem Minister zu weit, weshalb er sich auf die Suche nach zusätzlichen Investitionsmitteln machte. Er wurde fündig – bei der Bahn, deren Etat er einfach um eine Milliarde Euro erleichterte, wie die SZ schrieb. Zur »Wiedergutmachung« soll der Bund den fraglichen Betrag im Rahmen der geplanten Eigenkapitalerhöhung beim Staatskonzern – die nicht der Schuldenbremse unterliegt – früher als vorgesehen an die DB überweisen.

Damit ist das Finanzloch nicht weg, es wird lediglich in die Zukunft verschoben. Und: Weil eine gesetzliche Regelung für den Fall einer Kapitalerhöhung auch höhere Einnahmen verlangt, müssen die Trassenpreise angehoben werden. Das macht den Betrieb bestimmter Streckenabschnitte unwirtschaftlich, weshalb die Bahn entweder Verbindungen streichen und/oder die Fahrpreise erhöhen muss. Entsprechende Planspiele sorgten schon in der Vorwoche für Schlagzeilen. »Mit Blick auf die Haushaltslage darf nicht bei der Schiene gespart werden. Vielmehr müssen Straßenneubauprojekte sofort auf Eis gelegt werden«, so der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Tatsächlich sieht der BVWP vor, 850 Kilometer neue Autobahnen zu bauen und das Bundesstraßennetz um 2.000 Kilometer zu erweitern. »Wir brauchen nicht noch mehr neue Autobahnen in Deutschland, aber ein funktionierendes Straßen- und Schienennetz«, ergänzte ACE-Chef Stefan Heimlich. Wohlgemerkt: Der Mann führt einen Automobilclub.

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