Altes Machtkartell bestätigt
Von Eike Seidel![TION.JPG](/img/450/196761.jpg)
Am Freitag vergangener Woche wurde in der Mongolei ein neues Parlament gewählt. Es war die erste Wahl seit der Coronakrise und seit der Eskalation des Kriegs in der Ukraine vor zwei Jahren, und es waren die neunten Wahlen seit dem Zusammenbruch der Volksrepublik.
Mit 35,1 Prozent der abgegebenen Stimmen hat die seit acht Jahren mit absoluten Mehrheiten von etwa 80 Prozent regierende Mongolische Volkspartei (MVP) es geschafft, mit 68 von 126 Sitzen ihre Mehrheit im »Großen Chural«, dem mongolischen Parlament, zu verteidigen. Dass dies möglich war, liegt am immer noch stark ausgeprägten Mehrheitswahlrecht in der Mongolei. So hat die MVP 50 der insgesamt 78 Direktmandate gewonnen. Da es in der Mongolei bei den Direktmandaten keine Stichwahl gibt, reichen hier in manchen Wahlkreisen schon 35 bis 40 Prozent der Stimmen für ein Direktmandat.
Neu bei diesen Wahlen waren 48 weitere Sitze im Parlament, die nach dem Verhältnis der abgegebenen Stimmen auf die Parteien verteilt wurden. Hier erhielt die MVP 18 weitere Sitze, was zusammen mit den Direktmandaten zur Parlamentsmehrheit reicht. Zweitstärkste Kraft ist nun die Demokratische Partei (DP) mit insgesamt 42 Sitzen (26 Direktmandate und 16 Listenmandate, 30,1 Prozent), gefolgt von der ehemals eher sozialdemokratischen, mittlerweile nach Mitte-rechts abgedrifteten Hun-Partei (Hun bedeutet Mensch) mit zwei Direkt- und weiteren zwei Listenmandaten (10,4 Prozent). Zwei weitere Parteienerhielten jeweils vier Listenmandate. Mehrere Kleinparteien scheiterten an entsprechenden Mindestprozentzahlen. Dadurch sind etwa 14 Prozent der Wähler, die gegen die Regierungspartei gestimmt haben, nicht im Parlament repräsentiert.
Bei den etwa 7.500 Auslandsmongolen sieht das Wahlverhalten anders aus: Hier erhielt die MVP gerade einmal 17 Prozent der Stimmen. Bei einem reinen System der Verhältniswahl wäre die MVP mit ihren 35,1 Prozent zwar die stärkste Fraktion, würde aber kaum eine Regierungskoalition bilden können.
Schon bei den letzten Wahlen, bei denen die MVP nahezu alle Parlamentssitze gewinnen konnte und eine parlamentarische Opposition so gut wie nicht vorhanden war, hatte es vorwiegend in der Hauptstadt relevante Minderheitsvoten der nicht vom Ausverkauf des Landes profitierenden Mittelschicht gegeben, die sich allerdings nicht in Parlamentssitzen ausdrücken konnten.
Diese Mittelschicht leidet unter der Politik der Oligarchen, die sich wie nahezu überall in der postsowjetischen Welt ungeniert am Volksvermögen bereichern. Dabei ist es nicht allein die MVP, die diese korrupte Schicht politisch repräsentiert. Zumindest bis vor wenigen Jahren, als die ehemals ebenfalls mehrere Wahlperioden lang die Regierung bildende DP sich noch nicht durch innere Konflikte nahezu selbst paralysiert hatte, war das System aus MVP und DP als »MANAN« bekannt: Dieses Akronym nach den kyrillischen Kürzeln der Parteien bedeutet auf mongolisch »Nebel«, also Undurchsichtigkeit und Korruption.
Wie in vielen Ländern des Postkommunismus hat es auch in der Mongolei keinerlei Kapitalbildung außerhalb der für den reichen Westen wichtigen Rohstoffzweige gegeben. Der Anteil der auf dem Land lebenden Menschen (gern verklärt als die letzten Nomaden) nimmt kontinuierlich ab, weil die mobile Weidetierhaltung unter kapitalistischen Bedingungen keine Zukunft hat. 30 Prozent der Mongolen leben unterhalb der Armutsgrenze – meist verarmte ehemalige Viehhalter, die nun die Jurtenviertel um die Städte bewohnen.
Immerhin sind jetzt 16 Abgeordnete außerhalb dieses alten politischen Machtkartells im Parlament. Mehr als ein Drittel der Wähler stimmte ausdrücklich gegen MVP und DP. Ohne eine weitere Veränderung des Wahlsystems in Richtung eines echten Verhältniswahlrechts wird eine demokratische Veränderung aber kaum möglich sein.
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