75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 06. / 7. Juli 2024, Nr. 155
Die junge Welt wird von 2836 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 03.07.2024, Seite 5 / Inland
Deutsche Bahn

Vaihingen, bitte alle aussteigen

Flaschenhals und Tunnelflickwerk: Für »Stuttgart 21« wird die »Gäubahn« Richtung Schweiz gekappt
Von Ralf Wurzbacher
imago0686438053h.jpg
»Krebsgeschwür von Tunneln«: Arbeit an Gleisen in Vaihingen, bald Endstation der »Gäubahn«

Die Kritiker von »Stuttgart 21« haben eine böse Ahnung: Nach Fertigstellung des milliardenschweren Bahnprojekts wird Bahnfahren in Deutschland noch beschwerlicher als heute. Für die Nutzer der »Gäubahn«, die von der Schweiz kommend aus südwestlicher Richtung in Baden-Württembergs Landeshauptstadt führt, ist das nicht nur eine Sorge, sondern praktisch Gewissheit. Nach den Plänen der »S 21«-Macher wird die Strecke vom Bahnknoten Stuttgart kurzerhand abgekoppelt – für mindestens sieben Jahre, eher noch viel länger. Voraussichtlich ab Mai 2026, so die aktuelle, längst nicht in Stein gemeißelte Terminierung, heißt es dann in Vaihingen: Endstation, bitte alle aussteigen! Und wer weiter zum künftigen unterirdischen Hauptbahnhof in Stuttgart will, muss auf die Stadt- und S-Bahn umsteigen. Das macht Spaß …

Gar nicht lustig findet man das bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die hat vor einem Jahr Klage gegen die »Kappung der Gäubahn« vor dem Landesverwaltungsgerichtshof eingereicht. Die viele Millionen Menschen ans transeuropäische Bahnnetz anbindende Linie drohe mit Inbetriebnahme von »S 21« vom Stuttgarter Hauptbahnhof abgeschnitten zu werden, warnt der Verband.

Auf einen juristischen Erfolg hoffen auch Gäubahn-»Anrainer«. In einem offenen Brief an die »S 21«-Projektgesellschaft hatten sich im März die Oberbürgermeister von sieben Städten gegen das Vorhaben gewandt und die Befürchtung geäußert, mithin für immer abgehängt zu werden. Warum? Die Deutsche Bahn (DB) und ihre Partner (Land, Stadt, Region und Flughafen Stuttgart) wollen die Gäubahn in Zukunft über den elf Kilometer langen Pfaffensteigtunnel via Airport an den neuen Tiefbahnhof anbinden. Der Tunnel muss aber erst noch gebaut werden und wäre frühestens 2032 fertig.

Das Bauvorhaben ist eines von mehreren »Ergänzungsprojekten«, die das kapazitätsbeschränkende »S 21«-Kernprojekt quasi retten sollen. Aber schon jetzt ist absehbar, dass die Zeit bis zur Errichtung mehr Jahre in Anspruch nehmen und teurer wird als veranschlagt. Offiziell ist von einer Milliarde Euro die Rede, »S 21«-Gegner sehen die »Unterkante« hingegen bei drei Milliarden Euro. Wegen der offensichtlichen Risiken und vor dem Hintergrund leerer Kassen hat die Bahn die Pläne inzwischen als nicht finanzierbar gestrichen. Es werde »von Tag zu Tag deutlicher, dass der als Allheilmittel für die Gäubahn angedachte Pfaffensteigtunnel bis auf weiteres kaum Chancen auf Realisierung hat«, befanden die Rathauschefs unter anderem von Tuttlingen, Villingen-Schwenningen, Horb und Herrenberg in ihrem Schreiben. Deshalb ihre Forderung: »Keine Kappung, solange der Tunnel nicht planfestgestellt, nicht vertraglich abgesichert und im Bundeshaushalt enthalten und beschlossen ist.«

Am Dienstag legten der DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch und der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft (GdL), Claus Weselsky, im Rahmen einer Pressekonferenz in Stuttgart nach. Bei »S 21« handele es sich um ein »ganzes Krebsgeschwür von Tunneln«, das den »Flaschenhalsbahnhof mit nur acht statt bisher 16 Gleisen zwar immer teurer, aber garantiert nicht besser« mache, beklagte der GdL-Chef. Mit Verweis auf die jüngste Verschiebung des Eröffnungstermins auf Ende 2026 sprach er von »hektischer Betriebsamkeit, um zu heilen, was letztlich nur Flickwerk bleiben kann«. Das alles sei das »Gegenteil der angestrebten Verkehrswende und insgesamt ein Supergau«.

Resch von der DUH begreift die mögliche Aufgabe des Pfaffensteigtunnels als »große Chance«, den Stuttgarter Kopfbahnhof doch noch zu erhalten. »Ich bin felsenfest überzeugt, dass der Tunnel wegen der finanziellen und planerischen Unwuchten nicht gebaut werden kann, und guter Dinge, dass die Richter uns recht geben werden«, erklärte er am Dienstag gegenüber junge Welt. Gemeinsam mit Weselsky appellierte er an die Verantwortlichen, »den ab Ende 2025 auf ein Jahr angelegten Doppelbetrieb von Kopf- und Tiefbahnhof dauerhaft zu machen, um den auch nach 2030 ausreichend leistungsfähigen Bahnknoten in Stuttgart sicherzustellen«.

Großes Kino für kleines Geld!

75 Augaben für 75 €

Leider lässt die Politik das große Kino vermissen. Anders die junge Welt! Wir liefern werktäglich aktuelle Berichterstattung und dazu tiefgründige Analysen und Hintergrundberichte. Und das zum kleinen Preis: 75 Ausgaben der gedruckten Tageszeitung junge Welt erhalten Sie mit unserem Aktionsabo für nur 75 €!

Nach Ablauf endet das Abo automatisch, Sie müssen es also nicht abbestellen!

Ähnliche:

  • Doch 2026? Ständige Aufschübe wirken auf die Stuttgarter bereits...
    13.06.2024

    Die Mär von S21

    Inbetriebnahme von »Stuttgart 21« auf Ende 2026 verschoben. Kritiker glauben den Machern nichts mehr
  • Hohe Erstickungsgefahr: Die Tunnelröhren sind viel zu schmal, be...
    23.05.2024

    Todesfalle »Stuttgart 21«

    Mögliche Brandschutzmängel: Gegner von Bahnhofsprojekt verlangen Aufklärung. Eisenbahn-Bundesamt könnte hauseigene Richtlinie verletzen
  • Kondition und Kontinuität: Protestler gegen das Erdloch mit Schi...
    18.03.2024

    Letzte Hoffnung Holperstart

    700. Montagsdemo gegen Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21«. Weitere Verzögerungen bis zur Eröffnung

Mehr aus: Inland