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Aus: Ausgabe vom 03.07.2024, Seite 6 / Ausland
Sieben Monate nach Wahl

Niederlande mit Regierung

Den Haag: Neues Kabinett vereidigt. Ehemaliger Geheimdienstchef Premier
Von Gerrit Hoekman
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Der neue Premierminister Dick Schoof (2. v. r.) am Dienstag in Den Haag

Die Niederlande haben eine neue Regierung. Mehr als sieben Monate nach der Parlamentswahl vom 22. November 2023 vereidigte König Willem-Alexander im Palast Huis ten Bosch in Den Haag am Dienstag Premierminister Dick Schoof und die sieben Ministerinnen und acht Minister seines Kabinetts. Gegen Mittag übergab Vorgänger und frischgebackener NATO-Chef Mark Rutte den Schlüssel zum Büro an seinen Nachfolger. Und radelte auf dem Fahrrad davon.

Als Politiker hat sich der 67jährige Schoof bis jetzt nicht hervorgetan. Seit 2001 ist der ehemalige Sozialdemokrat parteilos. Als Beamter im Staatsdienst war er eher im Hintergrund aktiv. Obwohl Schoof zwei Töchter hat, die er mit seiner inzwischen geschiedenen Frau aus China adoptierte, kündigte er nun die schärfste Asylpolitik in der niederländischen Geschichte an. Dies dürfte eine Voraussetzung dafür gewesen sein, dass Wahlsieger und Islamhasser Geert Wilders ihn als Premierminister ins Spiel brachte. Wilders hätte das Amt liebend gerne selbst übernommen, die potentiellen Koalitionspartner waren aber partout nicht bereit, ihn zum Regierungschef zu wählen. Zähneknirschend lenkte Wilders ein. Er wird wie die anderen Spitzen der Koalition, Dilan Yeşilgöz-Zegerius (VVD), Pieter Omtzigt (NSC) und Caroline van der Plas (BBB), als Fraktionschef im Parlament Platz nehmen.

Wird Ersatzpremier Dick Schoof eigene Akzente setzen oder Marionette des Puppenspielers Wilders sein? Im Staatsdienst hat Schoof eine beachtliche Karriere vorzuweisen. Im März 2013 wurde er nationaler Koordinator für die »Terrorismusbekämpfung«, im November 2018 Chef des niederländischen Geheimdienstes AIVD. Dabei nahm er es mit den Gesetzen offenbar nicht immer genau: Aus Dokumenten, die der Tageszeitung NRC Handelsblad vorliegen, soll hervorgehen, dass er politische Aktivisten mit gefälschten Onlineaccounts überwachen ließ, obwohl ihn Juristen davor gewarnt hatten.

In der Politsendung »WNL op Zondag« stellte Schoof im Dezember 2017 die Bewegung »Kick Out Zwarte Piet« an den Pranger. Sie könne »möglicherweise extremistisch (…) und dann auch gewalttätig werden«. Deshalb sei sie 2017 erstmals in den Jahresbericht über »terroristische Bedrohungen« in den Niederlanden aufgenommen worden. »Dass wir sie nun unter dem Begriff Extremismus zusammenfassen, ist eine Art Frühsignal«, erklärte Schoof damals. »Kick Out Zwarte Piet« versucht mit friedlichem Protest, die rassistische Figur des »Schwarzen Peters« als Gehilfen des Sinterklaas, des niederländischen Nikolaus, aus der Öffentlichkeit zu verbannen.

Die extrem rechte PVV von Geert Wilders erhält fünf Ministerien. Die rechtsliberale VVD und der konservative NSC bekommen vier, die EU-skeptische Boer Burger Beweging (BBB) zwei. Wilders hievte mit Parteifreundin Marjolein Faber eine ausgesprochene Hardlinerin auf den erstmals geschaffenen Posten der Ministerin für Asyl und Migration. In der EU will Faber eine Sonderreglung für die schärfere niederländische Migrationspolitik durchsetzen. In der Vergangenheit fiel Faber mit verbalen Anleihen beim Hitlerfaschismus negativ auf, etwa mit dem Begriff »Umvolkung«.

Kurz nach einem Messerangriff in Groningen verbreitete Faber 2019 beim Kurznachrichtendienst Twitter (heute X), der Täter habe ein »nordafrikanisches Aussehen«. Auch als die Staatsanwaltschaft widersprach, blieb Faber stur. Mit dem Ministeramt in Sicht gab sie unlängst zu, der Post sei falsch gewesen. Auch vom Begriff »Umvolkung« distanzierte sie sich.

Ärger droht der Koalition vor allem in der Außenpolitik. Der rechtsliberale Verteidigungsminister Ruben Brekelmans (VVD) will die militärische Hilfe für die Ukraine in vollem Umfang fortsetzen, im Gegensatz zu Wilders. Die Partei NSC von Pieter Omtzigt stellt mit Caspar Veldkamp den zukünftigen Außenminister. Dieser war bereits Botschafter in Israel und Griechenland. Veldkamp bezeichnet sich als überzeugten Europäer. Geert Wilders hingegen würde am liebsten den »Nexit« einleiten, den Austritt der Niederlande aus der EU. Es bleibt also spannend.

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