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Aus: Ausgabe vom 03.07.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Algerien zum Opferfest

Selbst schlachten ist zu teuer

Algerien: Zum Opferfest Aid Al-Kabir verzichteten viele Familien in diesem Jahr auf den traditionellen Ritus
Von Sabine Kebir
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Ein Großteil der algerischen Bevölkerung entschloss sich in diesem Jahr, zum Opferfest nicht traditionell selbst zu schlachten, sondern feierte mit einer Fleischmahlzeit. Bei Aid Al-Kabir gedenkt die islamische Welt der Gnade, die Ibrahim (für Juden und Christen Abraham) gestattete, seine Gottesergebenheit zu beweisen und anstelle seines Sohnes einen Widder zu opfern. Dem Koran nach sollten muslimische Gemeinden zu Beginn der viertägigen Feier ein »großes Tier« schlachten (im Lebensraum des Propheten wohl eher ein Kamel als ein Schaf). Zu dem kommunalen Mahl sollten auch die Ärmsten eingeladen werden. In Gebieten mit Schafzucht hielt man sich gern an die originale Version. Einige Tage vor dem Fest wurden ein kapitaler Widder oder gleich mehrere Tiere gekauft, was dem Prestige der jeweiligen Mehrgenerationsfamilie entsprach.

Im Maghreb, insbesondere im wohlhabenden Algerien, hielt sich diese archaische Sitte auch im Zuge der Verstädterung und Auflösung der Großfamilien. So wird der Aid auch in modernen Großstädten traditionell begangen. Die Kinder spielen einige Tage lang mit den Tieren, die auf Dächern, Terrassen, Balkonen, manchmal in einem Zimmer oder sogar in Badewannen gehalten werden. Häufig gibt es Tränen, wenn der Patriarch das ihm vorbehaltene heilige Schächten, das Häuten und Zerteilen des Schafs vollzieht. Da die Tiere einander ihre Todesangst kommunizieren, entsteht in der Stadt die Atmosphäre eines Schlachthofs. In den Tagen danach müssen blutverstopfte Dachrinnen und Wasserabflussrohre ausgewechselt werden.

Von der das Abrahams-Opfer wörtlich nachahmenden algerischen Sitte erzählend, erntete ich in den Golfstaaten in den 90er Jahren Lachsalven: wie archaisch, wie unhygienisch! Eine reichliche Fleischmahlzeit genügt doch!

Auch viele Algerier beklagten die Tradition. Es gab die Befürchtung, ein im familiären Rahmen stattfindendes Gewaltereignis könne das Aufleben zwischenmenschlicher Gewalt im Bürgerkrieg der neunziger Jahre begünstigen: Die seinerzeit an die Macht strebenden Islamisten rechtfertigten ihre Tötungen damit, das vom Islam abgewichene Opfer werde rituell gereinigt. Doch trieb die plötzliche, radikale Verminderung der Schafherden zudem die Fleischpreise ganzjährig derart an, dass sich viele Familien außer dem Aid-Schaf kaum noch Fleisch leisten konnten. Zudem spülten die Preise für das Opfertier riesige Summen in die Taschen von Spekulanten. Mit der Erdgasrendite gesegnete Regierungen stützten die Tradition und versuchten, die Preise durch den Import von Schafen, etwa aus Rumänien, zu senken.

Die algerische Agrarproduktion ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Außerdem existiert ein Importverbot für europäisches Obst und Gemüse. Den Bedarf an Hartweizen deckt das Land selbst. Die Regierung von Präsident Abdelmadjid Tebboune wagte es in diesem Jahr, die Genehmigung für die Einfuhr der Tiere auszusetzen, obwohl das Angebot von Schafen für den Aid-Bedarf nicht gedeckt war und Moscheen nach wie vor zum traditionellen Opferritus aufriefen. Selbst ein Lämmchen kostete daher so viel wie der jährliche Mindestlohn oder die Rente eines Beamten.

So konnte vor dem 16. Juni das einmalige Schauspiel von mit Schafen beladenen Lastwagen beobachtet werden, die sie von Viehmärkten zurück zu den Herdenbesitzern transportierten. Diese behaupten nun, die Schafe seien teuer, weil sich auch die Futterkosten enorm erhöht hätten. Die Preise für einheimisches Fleisch dürften im Jahresverlauf nun also etwas fallen – und die Mehrheit der Bevölkerung sich auch öfter im Jahr welches leisten.

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