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Aus: Ausgabe vom 04.07.2024, Seite 5 / Inland
E-Mobilität

VW streicht Jobs in Zwickau

Produktion gedrosselt: Im Vorzeigewerk für E-Autos stehen die nächsten 1.000 Entlassungen an
Von Alexander Reich
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»Pionierwerk der deutschen E-Mobilität«: Montagehalle im VW-Werk in Zwickau

Wieder trifft es den Osten zuerst, könnte man meinen, aber das kommt auf die Perspektive an. Volkswagen hat die Streichung von »bis zu 1.000 Stellen« auf dem Plan. Das hat der Konzern am Montag dem MDR bestätigt. Die Jobvernichtung steht nicht etwa in der Zentrale in Wolfsburg auf dem Programm. Sondern in Zwickau, der Autostadt des Ostens.

Zwei zwangsenteignete Werke des Audi-Gründers August Horch wurden hier am 1. Mai 1958 zum VEB Sachsenring zusammengelegt. Fünf Monate zuvor war in Zwickau ein Vorserienfahrzeug vom Band gelaufen, der Pkw Trabant. 15 Jahre später wurde der einmillionste gefeiert. Am 30. April 1991, 14.51 Uhr, verließ der letzte das Werk. Fertigungsnummer: 3.096.099. Der VEB wurde zerschlagen und abgewickelt, viele Arbeiter wurden in die Depression entlassen, vom Schweißer über die Kantinenwirtin bis zum Duroplast-Karosseriemeister.

Allerdings stampfte Volkswagen in Zwickau über Nacht ein neues Werk aus dem Boden, das ab 1990 in noch etwas höherer Stückzahl Modelle wie Golf, Polo oder Passat ausspuckte. Dazu ab 2001 Luxuskarosserien für Bentley und Lamborghini. Vor fünf Jahren stellte VW die Produktion in Zwickau dann komplett von Verbrenner- auf Elektromodelle um, Angela Merkel beklatschte das Pionierwerk der deutschen E-Mobilität. Die Zahl der Beschäftigten sank nicht etwa, VW wurde vom größten »Arbeitgeber« der Region zum übergrößten: Aus rund 7.000 wurden vorübergehend mehr als 10.000 Werksarbeiter, wobei die 3.000 neuen nur befristete Verträge erhielten, um die Wette abzusichern: Pro Minute sollte ein E-Auto hergestellt und auf Zuggleise gebracht werden, am besten rund um die Uhr. Nur fanden sich für die Abertausenden ID.4, ID.5 oder E-Audis keine Abnehmer.

Im vergangenen Jahr wurde die Produktion in Zwickau auf 230.000 Autos gedrosselt. An einer von zwei Montagelinien wurde die Nachtschicht gestrichen. Ein knappes Drittel der 3.000 neuen wurde schon wieder vor die Tür gesetzt. Nach der Werkspause im Sommer wird auch am zweiten Band in den Zwei-Schicht-Betrieb gewechselt, genauso bei Karosseriebau und Lackiererei. Alles sieht danach aus, dass auslaufende Verträge nicht verlängert werden, um die 1.000 bis Ende 2025. »Entfristungen« gebe die »angespannte Marktsituation« kaum her, ließ die Konzernspitze am Montag in Bild wissen: »Uns fehlen Bestellungen.« Man werde sich das nun in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen und vor August nichts entscheiden. Für die Stammbelegschaft sind Entlassungen bis 2030 ausgeschlossen.

Der Absatz lief bereits schleppend, als ihm die spontane Streichung der E-Auto-Prämie Ende 2023 den Rest gab, wie Ferdinand Dudenhöffer am Mittwoch erinnerte: Die von Entlassung bedrohten VW-Arbeiter »können sich bei Herrn Habeck bedanken«, sprach der »Autopapst«. Aber das Problem liegt tiefer. Auch mit Regierungsprämie wären die VW-Modelle nicht sonderlich konkurrenzfähig. Sie sind teuer, der Konzern scheint Rabattschlachten wie in China kaum gewachsen. Und da sind immer noch Probleme mit der Software.

Die Hochtechnologie für das E-Auto als Computer auf Rädern kommt heute eher aus China als den USA, aber nicht aus Wolfsburg. VW hat in den vergangenen Jahren viel Geld ausgegeben, um den Rückstand aufzuholen und eine eigene Softwarearchitektur zu entwickeln. Mit wachsender Verzweiflung. Vor einer Woche gab die Konzernführung zu, verloren zu haben. Mit bis zu fünf Milliarden Dollar kauft VW nun den Zugang zur Technologie des US-E-Autobauers Rivian (»Zonenarchitektur«, »Electronic Control Units«).

In technischer Hinsicht wären die Wolfsburger Milliarden bei chinesischen Konkurrenten wohl besser angelegt gewesen, aber VW ist auf die »Systemkonkurrenz« festgenagelt, schon weil ein Fünftel der Aktien dem Land Niedersachsen gehört (die Mehrheit hält Porsche). Es gibt da enge Schranken. Erst am Mittwoch hat die Bundesregierung wieder eine heruntergelassen. Das Kabinett legte ein Veto gegen den Verkauf des VW-Gasturbinengeschäfts nach China ein. An eine Übergabe des Zwickauer Werks an den chinesischen Marktführer für E-Autos, BYD, ist unter diesen Umständen kaum zu denken.

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