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Aus: Ausgabe vom 04.07.2024, Seite 5 / Inland
Klassenkampf von oben

Attacke auf Streikrecht

FDP präsentiert Positionspapier zur »Regulierung« von Arbeitskämpfen in kritischer Infrastruktur. Gewerkschaften kontern
Von Oliver Rast
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Die freidemokratische Klientelpartei ist vor allem eines: Ein Aufreger (Hamburg, 1.5.2024)

Sie mucken immer wieder auf: freidemokratische Kapitalfans. Gegen Gewerkschaftsrechte. Die FDP-Bundestagsfraktion hat nun ein »Positionspapier zur Regulierung des Streikrechts in der kritischen Infrastruktur« beschlossen, das jW vorliegt. Zuerst hatte die Süddeutsche Zeitung am Dienstag nachmittag berichtet.

Der Hintergrund: die Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) Anfang des Jahres im monatelangen Tarifclinch etwa mit der Deutschen Bahn. Negative Effekte »auf unbeteiligte Dritte und die Gesamtgesellschaft erfordern ein Umdenken«, steht in dem Papier. Potentiell betroffen durch Streiks auf der Schiene seien das Transport- und Verkehrswesen, die Gesundheits- und Sozialversorgung, die Energieversorgung, die Müllabfuhr sowie der Brand- und Zivilschutz. Das kostet, und zwar nicht zu knapp. Als Beleg nennen die FDPler Berechnungen des kapitalnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Durch jüngste Arbeitsausstände seien wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe entstanden.

Deshalb: »Das Recht auf Streik als Mittel des Arbeitskampfes ist zwar im Grundgesetz verankert, gesetzliche Regelungen, wie ein solcher Arbeitskampf zu gestalten ist, gibt es jedoch nicht«, moniert der »gelbe« Ampelkoalitionär – und fordert: Ein Schlichtungsversuch der Tarifparteien soll verpflichtend sein. Streiks sollen seitens der Gewerkschaft angekündigt werden. Mindestens 72 Stunden vorab. Mehr noch, »örtliche, zeitliche und tätigkeitsbezogene Angaben müssen aus der Ankündigung ausdrücklich hervorgehen«. Und Warnstreiks dürften nicht länger als vier Stunden dauern. Ein obligatorischer 50prozentiger Notbetrieb des bestreikten Unternehmens muss ferner garantiert sein. Streikwellen ohne Unterbrechungen dürfte es dann auch nicht mehr geben. Zwischen Arbeitsniederlegungen brauche es eine »Abkühlungsphase«, meint die FDP-Bundestagsfraktion. Und nicht zuletzt plädieren die Liberalen für eine »Öffnungsklausel in Tarifverträgen«; sprich: Die »vorgenannten gesetzlichen Regelungen« können vertraglich geändert, also extraverschärft werden.

Wie reagieren Belegschaftsorganisationen? Zornig. Das Bundesverfassungsgericht habe immer wieder deutlich gemacht: »Eine echte Aushandlung der Arbeitsbedingungen braucht Augenhöhe; ohne das Streikrecht undenkbar«, betonte die ersten Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, am Mittwoch gegenüber jW. Rufen danach, das Streikrecht einzuschränken, »treten wir entschieden entgegen«.

Ähnlich hat sich Martin Burkert geäußert. Der neuerliche FDP-Vorstoß sei an Zynismus kaum zu übertreffen, teilte der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) am Mittwoch mit. Denn, wenn Streikzeiten gesetzlich begrenzt würden, nehme man Beschäftigten ihre Durchsetzungsmacht und mache sie zu Bittstellern, so Burkert weiter. Die Freien Demokraten wollten sich mit dem Thema wohl im »Arbeitgeberlager« profilieren. Und das, obwohl Deutschland im EU-Vergleich eine niedrige Streikquote habe.

Hinzu kommt: »Gerade in systemrelevanten Bereichen sind Arbeitskämpfe bereits heute sehr schwierig zu führen«, sagte Ernesto Klengel am Mittwoch auf jW-Nachfrage. In Branchen wie Gesundheit, Pflege und Kita entwickelten Beschäftigte oftmals »keinen ausreichenden wirtschaftlichen Druck auf die Arbeitgeber«, weiß der wissenschaftliche Direktor des Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Außerdem führe das Verantwortungsgefühl gegenüber Betroffenen oft dazu, dass Belegschaften nur zurückhaltend streikten.

Das Streikrecht sei in der Praxis heute schon stark reguliert. Klengel: »So prüfen Gerichte sehr genau, ob eine der Streikforderungen über das Erlaubte hinausgeht.« Machten Gewerkschaften hier einen Fehler, drohte existenzgefährdender Schadenersatz. Eine weitere Gefahr: der unscharfe Begriff »kritische Infrastruktur«. Je nach Schätzung könnten bis zu 50 Prozent aller Beschäftigten Bereichen der kritischen Infrastruktur zugerechnet werden, bemerkt Klengel. Übersetzt: Jeder zweite Kollege wäre dann von der FDP-Attacke auf das Streikrecht betroffen.

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  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (3. Juli 2024 um 21:41 Uhr)
    Streikrecht, Asylrecht, sozialer Rechtsstaat, Demonstrationsrecht usw., alles gerinnt zu einer bloßen Fassade, die auch noch tüchtig von staatstragenden Parteien, Bundesregierung und ihren Mainstreammedien aufgeblasen wird, damit so deren fehlender Inhalt nicht bemerkt werde. Alles geschieht nach dem Motto: Wir haben doch all die guten Sachen, wir haben uns nichts vorzuwerfen, im Gegenteil, wir sind so frei und erklären unliebsamen Staaten, wie falsch diese liegen und mustergültig man selbst doch ist. Damit nun all die steten Aushöhlungen nicht rasant weiter voranschreiten, wäre es wohl dringend an der Zeit, dass Einzelgewerkschaften sowie der Dachverband auf die Barrikaden steigen, sprich streiken, denn jedwedes Stillhalten, jedes Zurückweichen provoziert die Herrschenden regelrecht ihren Klassenkampf von Oben zu forcieren, ganz so wie Feinde im Krieg agieren. Der mögliche Haken hierbei kann jedoch der sein, dass dann erst recht die Staatsgewalt zuschlägt, denn politische Streiks sind in der hiesigen Schmuddelrepublik ja verboten. So muss denn also sorgsam abgewogen werden, wie ein entsprechender Machtkampf ausfallen könnte, so er denn stattfände. Die Stimmung in der Belegschaft dürfte dann wohl den Ausschlag geben. Hinzu käme dann allerdings, dass es so zu einem Bruch zwischen Gewerkschaft und SPD wohl kommt. Ob die Gewerkschaftsspitze dazu bereit wäre, darf indes bezweifelt werden.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (3. Juli 2024 um 20:57 Uhr)
    CCS und CCU lassen grüßen! Das schreibt der Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden (bbs) in seiner Stellungnahme zum »BMWK-Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG) sowie zu den Eckpunkten der Carbon Management Strategie (CMS)«, zu finden unter https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Stellungnahmen/stellungnahmen-ccu-ccs-verbaende.html: »Der Entwurf des KSpTG legt richtigerweise den Fokus des CO2-Transports auf die Pipeline. Gleichzeitig wird es auch langfristig Standorte geben, für die ein Leitungsanschluss aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen nicht möglich ist. Für diese Fälle ist es wichtig, auch alternative Transportmodi wie etwa den Schienen- und Schiffstransport von CO2 zu berücksichtigen. Auch hier gilt es, den rechtlichen Rahmen für diese Transportkette zu konkretisieren, etwa den Umgang mit Umfüllverlusten an den Übergabepunkten sowie mit möglichen Unterbrechungen durch Streiks. Darüber hinaus müssen Regelungen zu beschleunigten Genehmigungsverfahren – analog zum Pipelinetransport – auch auf die Errichtung der notwendigen Schienen- und Verladeinfrastrukturen angewendet werden.« So soll also die grüne Zukunft aussehen.

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