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Aus: Ausgabe vom 04.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Jazz in der jW-Maigalerie

Tierische Liebe

In der Maigalerie der jungen Welt in Berlin jazzten Hannes Zerbe, Heide Bartholomäus und Jürgen Kupke mit Bertolt Brecht
Von Gisela Sonnenburg
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Knallhartes trifft auf Zartes: Hannes Zerbe, Heide Bartholomäus, Jürgen Kupke (hinten)

Brecht? Das ist, wenn das Schwein im Gedicht nur drei Beine hat und mit dem Hintern im Veilchenbeet landet. Oder wenn ein Pferd, das nicht viel bringt, ein erfolgreicher Politiker wird. Oder wenn die Ziege vom Heiraten träumt, ihr aber nur der Metzger bevorsteht. Knallhartes trifft auf Zartes: Die Musik dazu müsste rhythmisch und einschmeichelnd sein – und dennoch überraschend, suspekt und witzig. So ist es, wenn Hannes Zerbe, Berlins unumstrittene Jazzgröße, am Piano aufspielt und Jürgen Kupke an der Klarinette und die Schauspielerin Heide Bartholomäus als Sprecherin und Sängerin so richtig loslegen. Vorgestern war das der Fall, in der Maigalerie der Tageszeitung junge Welt, wo Hannes Zerbe an jedem ersten Dienstag im Monat die Konzertreihe »jW geht Jazz« kuratiert.

»Brecht und Jazz« heißt der Abend: Man entdeckt darin die unbekannteren Seiten von Bertolt Brecht. »Gassenhauer werde ich nicht singen«, kündigt Heide Bartholomäus an. Statt der »Seeräuber-Jenny« gibt es Skurriles von BB. Im Sound von Kurt Weill oder auch ganz frei jazzen Zerbe und Kupke außerdem in eigenen Stücken. Es ist schwer, dabei stillzusitzen und nicht das Tanzbein zu schwingen. Brecht blinzelt von einem Gemälde von Joachim John: nachgerade vorwitzig.

Aber dann liest Bartholomäus mit eindringlicher, keineswegs kokettierender Stimme: mit geradliniger Haltung. Sie, die aus vielen populären Fernsehstücken bekannt ist, zeigt hier ihre sozusagen ungeschminkte Seite. Es sind ernsthafte Dinge, um die es geht. »Und es sind die finsteren Zeiten« – dieses Lied von Hanns Eisler zu einem Brecht-Text intoniert die Sängerin mit anrührender Melancholie. Furcht schwingt mit, berechtigte Furcht. Das Piano tröpfelt in elegischen Akkorden, die Klarinette klagt. Brecht schrieb das Werk 1939 im dänischen Exil. Es gehört zu den »Svendborger Gedichten« und zeigt das emotionale Flüchtlingselend, diese Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung.

In Zerbe-Stücken wie »Grau I«, »Grau II« und »Grau III«, selbstironisch nach abstrakten Gemälden von Gerhard Richter benannt, verschafft sich die Phantasie aber ihren eigenen Freiraum. Wild spült das Klavier da Klänge an Land, die an Meereswellen, Nebel und einzelne Sonnenstrahlen erinnern. Die Klarinette von Kupke schraubt sich hingegen in höchste Höhen, dann wieder hinab in tiefste Tiefen. Synchron vollziehen die beiden Musiker einige Tonstufen, um alsbald zu verstummen. Die Klarinette bricht das Schweigen, für den entschiedenen Schlussakkord: wumm. Toll.

Das sensible Gemüt, aber auch die unbändige Energie von Heide Bartholomäus kommen dann mit poetisch formulierter Sehnsucht zum Tragen. Bartholomäus singt Brechts Songs ja seit ihrer Ausbildungszeit an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch: Sie wuchs mit Brecht in ihren Beruf. »Und ich werde nicht mehr sehen das Land, aus dem ich gekommen bin …«: Brechts Gefühl für die bayerischen Wälder, für die Alpen, die Küsten, auch für die Werkbänke seiner Heimat wurde von Hanns Eisler in einen fast lauernden, zugleich proklamierenden Gesang verpackt. Die Klarinette bindet dazu sanfte Melodieschleifen, das Klavier beruhigt mit dunklen Tonlagen.

Wie man dem Lehrer Weisheiten entlockt; wie ein gruseliger Mann daheim die Leichen seiner Mordopfer hortet; »Orges Wunschliste«, die Brecht für einen Jugendfreund notierte – all das wird lebendig. Schließlich lieben Pianist und Klarinettist mit »Mona Lisa« dieselbe Frau: schwärmerisch und barmend. Und wenn die Klarinette wie eine Ente quietscht, gackert auch die Sängerin mit: So tierisch kann die Liebe zu Brecht sein.

Beim Auffrischen der Erinnerung hilft die CD: Heide Bartholomäus, Jürgen Kupke und Hannes Zerbe: »Wie es war – Wie es ist. Brecht und Jazz« (Jazz-Haus-Musik)

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