75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 07. / 8. September 2024, Nr. 209
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 05.07.2024, Seite 15 / Feminismus
Sexualisierte Gewalt

Konsens ist sexy

Polnisches Parlament verabschiedet neuen, erweiterten Begriff der Vergewaltigung
Von Reinhard Lauterbach
imago0420083948h.jpg

Das polnische Parlament hat einen erweiterten Vergewaltigungsbegriff ins Strafgesetzbuch eingeführt. Am vergangenen Freitag stimmte der Sejm mit 330 zu 44 Stimmen bei 47 Enthaltungen für die Neuregelung des Paragraphen 197. Demnach gilt es als Vergewaltigung, eine andere Person »mit Gewalt, Erpressung, heimtückisch oder auf andere Weise ohne deren Einwilligung« zum Geschlechtsverkehr zu veranlassen. Auch das Mindeststrafmaß wurde von zwei auf drei Jahre Haft erhöht. Ein zusätzlich eingeführter Paragraph 197a erweitert die Strafbedrohung auch auf sexuelle Handlungen mit Personen, die nicht in der Lage sind, die Bedeutung des Geschehens zu erkennen. Es solle künftig jede sexuelle Handlung ohne Einverständnis als Vergewaltigung gelten. Zudem soll durch das Gesetz das Strafmaß für Vergewaltigungen von zwölf auf 15 Jahre erhöht werden.

Die bisherige Regelung hatte sich auf die Tatbestandsmerkmale Gewalt, Erpressung oder Heimtücke beschränkt. In der Praxis bedeutete dies nach Angaben polnischer Juristen, dass die Polizei in fast der Hälfte der Fälle Vergewaltigungsanzeigen nicht annehme, weil die Betroffenen keine Spuren von Gewalt beziehungsweise Widerstand an ihren Körpern nachweisen können.

Die Initiative zu der Neuregelung war von der Fraktion des polnischen Linksbündnisses ausgegangen. Sie war die einzige, die vollständig für die Novellierung stimmte. Aus den anderen Koalitionsparteien nahmen jeweils etliche Abgeordnete nicht an der Abstimmung teil. Gegen die Neuregelung stimmten die rechte »Konföderation« und ein Teil der PiS.

Ob die Neuregelung in der Praxis größere Folgen haben wird, ist unter Juristen umstritten. Die Abgeordnete Monika Rosa von der Tuskschen »Bürgerkoalition« sprach von einer »erzieherischen Dimension« der neuen Vorschrift; der Gesellschaft müsse klargemacht werden, dass sexualisierte Gewalt kein Kavaliersdelikt sei. Gegner der Neuregelung argumentierten dagegen, sie sei ein »Geschenk an rachsüchtige Exen«, die jetzt ehemalige Partner mit Vergewaltigungsklagen überziehen könnten. Tatsächlich scheint der von der Koalition beschworene generalpräventive Aspekt der Neuregelung gegenüber Überlegungen zur praktischen Anwendbarkeit der Vorschrift im Vordergrund gestanden zu haben. Denn im Extremfall könnte tatsächlich nicht einmal eine vor dem Sex unterschriebene Einverständniserklärung der Frau, wie sie Gegner der Neuregelung in polemischer Absicht beschwören, ihren Partner vor einer nachträglichen Klage schützen. Denn Zeugen gibt es in der Regel nicht, und der menschliche Wille kann sich jederzeit ändern; und da in der Neuregelung nicht von einer »vorherigen Zustimmung« der anderen Person die Rede ist – wie es in einer früheren Textfassung noch geheißen hatte –, sondern nur allgemein von »Zustimmung«, stellt sich alsbald die Frage, welcher Wille maßgeblich ist: der ursprüngliche oder der in der Zwischenzeit geänderte. Gegner witzelten, dass der neue Paragraph auch in der Weise generalpräventiv wirken könne, dass sexuelle Enthaltsamkeit künftig der einzig sichere Weg ist, um Vergewaltigungsvorwürfen aus dem Weg zu gehen. Was für Personen, die sexualisierte Gewalt nicht ernst nehmen, vielleicht keine schlechte Lösung wäre.

Die Neuregelung geht jetzt in die obere Parlamentskammer, den Senat. Anschließend müsste sie noch der aus der PiS kommende Staatspräsident Andrzej Duda unterschreiben.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Regio:

Mehr aus: Feminismus