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Aus: Ausgabe vom 05.07.2024, Seite 16 / Sport
Sportwetten

Die kommende Flut

Mit einem Grundsatzurteil will der BGH am 25. Juli erstmals für klare Verhältnisse zwischen Zockern und Anbietern sorgen
Von Andreas Müller
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Da schwitzen die Zockerhände: Nicolae Stanciu beim Schuss (Rumänien vs. Niederlande, 2.7.2024)

Für manch einen Anbieter von Onlinesportwetten geht es um die wirtschaftliche Existenz, für viele Zocker um die Rückerstattung einer Menge verlorener Euros. Eine ganze Branche samt ihrer Kundschaft wird nach Karlsruhe schauen, wenn der Bundesgerichtshof (BGH) am 25. Juli ab 8.30 Uhr unter dem Aktenzeichen »I ZR 90/23« erstmals ein Urteil in Sachen »Erstattung von Verlusten bei unerlaubten Sportwetten« verkünden wird. Verklagte Anbieter wollten zuvor das Urteil des obersten Gerichts umgehen, indem sie mit den Klägern einen Vergleich schlossen oder den Verhandlungstermin am BGH kurz zuvor platzen ließen, wie Betano Anfang Mai dieses Jahres. Bald allerdings wird sich jedes Verfahren an einem höchstrichterlichen Spruch orientieren müssen. Pikanterweise ist das Grundsatzurteil mit dem Namen eines Anbieters verbunden, der allwöchentlich die ARD-»Sportschau« mit den Spielen der Fußballbundesliga präsentiert.

Für die Kicks

Im März hatte Tipico noch laviert. Nun rechnet sich das Unternehmen offenbar gute Chancen aus, mit dem Hinweis auf behördliches Versagen gut wegzukommen. Schließlich hatte man schon im Jahre 2012 eine Konzession beantragt, war jedoch – wie andere Antragsteller – leer ausgegangen. Warum? Weil die Behörden seinerzeit noch acht Jahre brauchten, um ein wasserdichtes Lizenzierungsverfahren für Onlinesportwetten zu ertüfteln. Wegen dieser Saumseligkeit sei bis 2020 praktisch gar kein legales Sportwettengeschäft möglich gewesen, argumentiert die Branche. Was in dieser Phase nicht ausdrücklich untersagt war, könne nun im nachhinein schwerlich als illegal betrachtet und nachträglich als strafbar erklärt werden.

Im Kern geht es um die Frage, ob sich Wettangebote vor 2020 an jenen Regeln orientierten, die später mit Einführung der offiziellen Lizenzen festgeschrieben wurden. Definitiv nicht, wenden Beobachter der Szene ein. Im Gegenteil hätten die Sportwettenanbieter in den Jahren des »unregulierten Marktes« sämtliche Register gezogen, um unbehelligt und unkontrolliert ihre Klientel regelrecht zum Glücksspiel und zur Spielsucht zu verführen. Beispielsweise ist nach den heute gültigen Bestimmungen der monatliche Einsatz bei Onlinewetten – im Unterschied zu solchen bei Wettbüros vor Ort – in der Regel auf maximal 1.000 Euro begrenzt. Und doch gibt es Kunden, die vor 2020 online bis zu 300.000 Euro im Monat verzockten. Auch war seinerzeit die heute verbotene »Cash out«-Funktion gang und gäbe, wonach ein Teil des Wetteinsatzes umgehend ausgezahlt wird, um ihn augenblicklich für andere Wetten einzusetzen und den Zocker mit einem zusätzlichen »Kick« zu fesseln. Paradebeispiele dafür, wie die Spielleidenschaft in jenen Jahren befördert wurde.

Kann teuer werden

Für den Rechtsanwalt Thomas Schopf, der sich in einer Ludwigsburger Kanzlei mit zwei Kollegen auf diese Facette des Glücksspiels spezialisierte, kann es nur eine Lesart geben. »Das Urteil, das Ende Juli kommt, öffnet ziemlich sicher die Schleusen zu einer Klageflut. Es wird bestimmt manchen der Anbieter in die Insolvenz reißen.« Schon vorab verweist das BGH auf seiner Website auf maßgebliche Vorschriften zur juristischen Bewertung, etwa auf den ersten Absatz von Paragraph 284 im Strafgesetzbuch: »Wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.«

Schopf stützt seine Hoffnungen unter anderem auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden im vergangenen Jahr für einen seiner Mandanten. Das sei »ein Meilenstein« gewesen, das erste bundesweite OLG-Urteil überhaupt zugunsten eines Zockers. »Maßgeblich ist ein Hinweisbeschluss des BGH vom 22. März dieses Jahres aus unserem Verfahren gegen Betano, nachdem der Anbieter gegen das Urteil des OLG Dresden Revision eingelegt hatte. Hält der BGH jetzt an seiner vorläufigen Rechtsauffassung vom März fest, dürfte es für Tipico und andere eng werden, die jahrelang ohne gültige Lizenzen im deutschen Internet unterwegs waren und Legalität vortäuschten.« Solchen Unternehmen drohen in der Folge der Urteilsverkündung am 25. Juli in Karlsruhe satte Rückzahlungen von Beträgen in Millionenhöhe. Für die Branche insgesamt, die 2022 einen Jahresumsatz von offiziell 8,2 Milliarden Euro auswies, könnte es sehr teuer werden. Schon jetzt sind mehr als 10.000 Klagen anhängig.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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