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Aus: Ausgabe vom 05.07.2024, Seite 16 / Sport
Beim Fananwalt

VAR abschaffen

Von René Lau
Der Fananwalt_Logo.jpg

Ich gebe es offen zu: Ich war von Anfang an kein Freund des Videoassistenten VAR. Als Fußballfan, der in den 70er und 80er Jahren sozialisiert wurde, habe ich mich mit Veränderungen des Spiels immer schwergetan. Doch mit vielem habe auch ich mich im Laufe der Zeit angefreundet. Die Rückpassregel gehört dazu, da sie den Fußball wirklich interessanter gemacht hat und einen sportlichen Wert besitzt. Aber bei einer Sportart, in der nicht Millimeter oder Sekunden über den Sieger entscheiden, sollten technische Hilfsmittel weitgehend außen vor bleiben. Was war schlimm daran, wenn in alten Zeiten sich der Schiedsrichter mal geirrt hatte und wir alle beim Bier im Stadion geschimpft und gepöbelt haben? Aber auch uns Fans war Menschliches nicht fremd, und so fanden wir uns in der Regel schon kurz nach einer Fehlentscheidung mit dieser ab. Wichtig war: Fällt das Tor, und der Schiedsrichter pfeift nicht, haben wir gejubelt. War die Fahne beim Abseits an der Seite nicht oben, kam kein Pfiff. All das gehörte für mich zur Seele des Fußballs. Heute ist meine erste Reaktion nach einem Tor: Darf ich jubeln?

Und als wir dachten, es geht nicht schlimmer, kam die Europameisterschaft. Was hierzulande der Kölner Keller ist, soll ja während der EM das Leipziger Erdgeschoss sein. Hier sei alles professioneller, besser und gerechter, hat man uns versprochen. Schaue ich mir aber die Spiele an, graust es mir. Linien werden gezogen, um nach mehreren Minuten Unterbrechung bei der zwölften Wiederholung einen Zentimeter Abseits erkennen zu können. Oder ein Spiel läuft weiter, um viele Situationen später unterbrochen zu werden, da ein Handspiel überprüft werden soll, an das schon keiner mehr gedacht hat.

Ein Freund schrieb mir vor einigen Tagen: Wenn die Technik wichtiger als der menschliche Faktor ist, stirbt der Fußball. Recht hat er. Das merke ich jede verdammte Woche, wenn ich im Stadion bin. Mein Herzensverein spielt in der viertklassigen Regionalliga. Eine Liga, in der es weder Torlinientechnik noch den VAR gibt. Und ich habe es nicht ein einziges Mal erlebt, dass irgend jemand sie vermisst hätte. So ist der Fußball, wie wir ihn lieben.

Im Basketball oder Handball mag die Technik ihren Platz haben. Doch das sind Sportarten, in denen in einem Spiel mehr als einhundert Punkte oder dreißig Tore erzielt werden und bei denen es eine sekundengenaue Spielzeit gibt – sie sind mit dem Fußball nicht vergleichbar.

Es bleibt nur eins. Schafft den VARnsinn ab, und gebt dem Fußball seine Seele zurück.

»Sport frei!« vom Fananwalt.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (8. Juli 2024 um 12:42 Uhr)
    Warum erinnert das Deutsche immer an Kriegsgeschrei, Frontberichte? Wirtschaft bis Sport, immer erinnert es Schlachtfeldlärm. Siegesgeschrei, Niederlagen gehen gar nicht. Immer die Schuld beim harten Winter oder Schiedsrichter usw. Unrecht geschieht immer und nur den Deutschen.
    Jedes Spiel sehe ich mir gern an, schalte erst mit Anpfiff des Spiels an und mit Schlusspfiff aus. Es bleibt mir weitgehend einiges erspart. Alle sportliche Freude der Zuschauer und Spieler verstehe ich gut.
    Auch Schiedsrichter sind Menschen, auch VAR ist nicht der absolute Perfektionismus und bedarf immer letztlich der subjektiven Sicht von Menschen. Freude oder Ärger liegen nahe beieinander. Hass, Hetze, Häme haben da nichts verloren. Mit Gerechtigkeit mag gehadert werden. Wie gerecht war der Sieg gegen die Dänen? Wo war da mediales Geschrei um Gerechtigkeit? Dem Fußball als Spiel und sportliches Kräftemessen, fair, freundschaftlich, hat das alles wenig gedient. Nur gut, den meisten Spielern selbst wird es ein Sport und Spiel sein und bleiben. Sie kennen sich aus den Clubs aller Welt, in denen sie ihre Millionen verdienen. Die wenigsten sind sich Feind. Keiner weiß wo, mit wem er bald im Team spielen wird. EM, WM usw. sind Menschenmarktplätze, auf denen sie ihren Marktwert zur Schau stellen müssen. Sieg oder Niederlage, eher nicht das Entscheidende. Patriotisch, Vaterländisch, Nationales, braucht es das übersteigert? Es braucht es allenfalls und bitter nötig völkerverbindend. Ist der olympische Gedanke noch einigen bewusst?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Hans S. aus Berlin (5. Juli 2024 um 10:04 Uhr)
    Ich bin auch der Meinung, dass man die VARs abschaffen muss. Offenbar begründen sie ihre Legitimation bzw. Daseinsberechtigung allein damit, dass sie als Totengräber diesem Ballsport die Luft zum Atmen nehmen wollen. Die Abseitsregel, eine, wenn nicht sogar die kreativste Regel im Fußball, die das Offensivspiel überhaupt erst ermöglichen sollte. Sie sollte verhindern, dass sich ein Spieler oder gleich mehrere vor das gegnerische Tor in Erwartung eines langen Passes stellten. Einen Spielaufbau hätte es so niemals gegeben. Das habe ich als ballverliebter Freizeitfußballer erlebt und gelernt. Was wir mit den VAR-Interventionen erleben, ist genau das Gegenteil des Sinns der Regel. Die VAR-Kellerkinder stehen für eine Perversion der Abseitsidee, weil sie das Offensivspiel hemmen. Die Angst des Weitspringers, überzutreten, verleitet ihn zu Sicherheitssprüngen aus Angst vor Disqualifikation. Aber deshalb ist es wohl so schwierig, diese Regel jenen zu vermitteln, die nie Fußball gespielt haben. Es wäre zumindest sinnvoll, im Vorfeld oder danach, den Ursprung dieser Regel von Experten dann und wann erklären zu lassen, vorausgesetzt, dass diese sie überhaupt selbst verstehen. Das Trainer/Spieler-Geschimpfe und das Gerede von Reportern über Abseits oder nicht vor dem VAR war mir allemal lieber als das, was heute passiert, außerdem gibt es das ja auch immer noch. Dem Gequatsche eines Loddars (Matthäus) entgehen wir so oder so nicht. Zum leichteren Verständnis noch ein Satz des legendären Trainers Hennes Weisweiler: »Abseits ist immer dann, wenn der lange Arsch (er meinte Günter Netzer) zu spät abspielt.« Genauso wichtig wäre für mich auch eine neue Regel: Spieler dürfen fortan nur noch mit ihren Armen, die am Rücken mit Kabelbinder befestigt werden, auflaufen. Dann gibt es keine Handelfmeter mehr, und beim Tor dürfen sich die Spieler nur auf den Rücken legen und mit den Beinen strampeln. Dann nähern wir uns dem Ursprung des Lebens.
    • Leserbrief von georg-eckert aus Holzweissig (7. Juli 2024 um 10:05 Uhr)
      Die Spieler und Verantwortlichen haben den VAR gewollt. Jetzt ist das Geschrei groß: »hand oder nicht hand«? Mann sollte das alte Regelhandbuch wieder einmal benutzen. Tagelang wird über Schiedsrichterleistung lamentiert. Aber es geht nur um das große »Geld«.

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