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Aus: Ausgabe vom 06.07.2024, Seite 7 / Ausland
Großbritannien hat gewählt

Trotz Verlusten vorne

Großbritannien: Der Erfolg von Labour bei den Parlamentswahlen ist kein Sieg von Parteichef Starmer
Von Dieter Reinisch
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Sunak geht, Starmer kommt: In der Londoner Downing Street am Tag nach dem Labour-Wahlsieg (5.7.2024)

Die Konservative Partei hat bei den britischen Parlamentswahlen vom Donnerstag eine krachende Niederlage eingefahren. Wenig überraschend trat Parteichef und Premierminister Rishi Sunak daher noch am Freitag zur Mittagszeit zurück. In manchen Wahlkreisen waren die Stimmen noch gar nicht ausgezählt, als er bereits den König traf, um seine Demission einzureichen. »Ich habe für diesen Job mein Bestes gegeben. Aber Sie haben eine klare Botschaft gesendet, und nur Ihr Urteil ist wichtig. Dies ist ein schwieriger Tag, aber ich verlasse diesen Job mit der Ehre, Premierminister des besten Landes der Welt gewesen zu sein«, sagte er in seiner Abschiedsbotschaft an die Wähler.

Wenig später traf Labour-Chef Keir Starmer im Buckingham Palace ein, um sich beauftragen zu lassen, die neue Regierung zu bilden. Danach hielt er vor dem Sitz der Regierungschefs in der Downing Street 10 seine erste Rede. Vor einer begeisterten Menge erklärte er, dass es jetzt an der Zeit sei, die Traumata und Wunden der jüngsten Zeit zu heilen: »Doch dies kann nicht mit Worten, sondern nur mit Taten vollbracht werden.« Er sprach von Vertrauen, Wiederaufbau und Respekt, blieb aber in eloquent staatsmännischer Manier inhaltsleer – so wie im ganzen Wahlkampf. In Umfragen vor der Wahl hatten durchweg mehr Befragte Starmer keine gute Arbeit attestiert als in ihm einen geeigneten Politiker gesehen.

Der Wahlsieg von Labour ist denn auch nicht Starmer zu verdanken, sondern Resultat des völligen Versagens der Konservativen in den vergangenen 14 Jahren und ihres Zerfallsprozesses seit dem »Brexit«. Obwohl Starmer sich nun feiern lässt, ist sein Erfolg nur auf das britische Mehrheitswahlrecht zurückzuführen – gleiches gilt für die Liberaldemokraten (Lib Dems), die enorme 60 Sitze hinzugewinnen konnten und nunmehr bei 71 Abgeordneten liegen, mit 12,2 Prozent aber weniger Stimmen als »Reform UK« von Nigel Farage mit 14,3 Prozent erhielten. Die Wähler sind in vielen Wahlkreisen nicht zu Labour gegangen, sondern von den Tories weg zu den Lib Dems und »Reform UK«, was Labour wegen des Mehrheitswahlrechts dennoch Siege in den jeweiligen Wahlkreisen ermöglichte.

Starmer selbst erlitt herbe Blessuren: In seinem Wahlkreis Holborn and St. Pancras verlor er 50 Prozent. Hier war der linke unabhängige Kandidat Andrew Feinstein angetreten. Der ehemalige ANC-Abgeordnete aus Südafrika kam ohne große finanzielle Mittel und Parteistruktur auf Anhieb auf fast 20 Prozent. Starmer dagegen verlor von den 36.600 Voten der letzten Parlamentswahlen fast genau die Hälfte und errang nur 18.900 Stimmen – weniger als Ex-Labour-Chef Jeremy Corbyn in seinem benachbarten Wahlkreis.

Seinen Sitz verloren hat dagegen Wesley Streeting aus dem Labour-Schattenkabinett. Wie viele andere Labour-Kandidaten verlor er in einem muslimisch dominierten Wahlkreis, und zwar gegen die Palästinenserin Leanne Mohamad. Auch in Leicester verloren Labour-Kandidaten aufgrund ihrer unklaren Haltung zum Krieg in Gaza gegen propalästinensische Kandidaten.

Stimmen gewinnen konnte Labour nur in Schottland, wo die Nationalisten nach internen Krisen 37 Sitze verloren und nun nur noch neun Abgeordnete in London halten. In Nordirland wurde dagegen die linksrepublikanische Sinn Féin (SF) erstmals stärkste Partei bei britischen Unterhauswahlen und gewann sieben Sitze. Hier verlor die unionistische DUP drei ihrer acht Sitze. Für SF gewählt wurde Patricia Cullen, die ehemalige Chefin der Gewerkschaft RCN, die die britischen Pfleger erstmals in ihrer Geschichte in einen Arbeitskampf geführt hatte.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (6. Juli 2024 um 16:10 Uhr)
    Britanniens Wutbürger: Selten war der Ärger gegenüber Politikern so groß wie in diesen Tagen. Die britische Unterhauswahl hat eines deutlich gemacht: Nach 14 Jahren war es genug. Die Konservativen erlebten die schlimmste Schlappe ihrer Geschichte. Labour kommt mit einer riesigen Mehrheit ins Amt. Denn dies war eine Wahl der Wut, nicht der Hoffnung. Die Bürger waren weniger von Labour angezogen als vielmehr von den Tories abgestoßen. Zu viele Skandale, zu viel Korruption, zu viele gebrochene Versprechen. Die Abrechnung war längst überfällig. Die Stimmung im Land ist nicht von einem Aufbruch und von gesellschaftlichen Visionen geprägt. Stattdessen herrschen Verunsicherung, Ratlosigkeit und Frustration über die politischen Eliten. Das wird sich mit dem Regierungswechsel kaum ändern. Britannien leidet unter einer anhaltenden Schwäche des gesamtwirtschaftlichen Produktivitätswachstums. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben längst nicht nur mit dem Brexit zu tun. Wie die Tories bietet auch Labour kein überzeugendes Reformprogramm, um die britische Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Labours Triumph steht also auf tönernen Füßen. Von nichts kommt nichts, und ohne Moos ist nichts los!

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