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Aus: Ausgabe vom 06.07.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Kreislaufwirtschaft

Werthaltiger Abfall

Niederlande: Arme sammeln Pfandflaschen und -dosen. Städte klagen über »Vermüllung«
Von Gerrit Hoekman
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In den Mülleimern, Abfallsäcken und öffentlichen Papierkörben in den Niederlanden schlummert unermesslicher Reichtum: Pfand auf Dosen und Plastikflaschen im Wert von 374 Millionen Euro alleine in den vergangenen drei Jahren. Geld, das die Produzenten und Supermärkte sparen. Andererseits suchen immer mehr finanziell Benachteiligte im Hausmüll und in den Abfalleimern nach Dosen und Flaschen, der für sie wertlose Rest landet oft unschön auf dem Gehweg. Vorher waren Pfandsammler in den Niederlanden so gut wie unbekannt.

Mitte 2021 führte die Regierung in den Niederlanden Pfand auf Plastikflaschen ein. Am 1. April 2023 folgte dann das Dosenpfand. Die Regierung verkaufte das Pfand seinerzeit als großen Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft. Mittlerweile stellt sich aber heraus, dass die Niederländer die zweieinhalb Milliarden Dosen und die eine Milliarde Plastikflaschen, die jedes Jahr bei unseren Nachbarn über die Ladentheke gehen, längst nicht so diszipliniert sammeln und zurückgeben, wie die Politik erhoffte. Bei Plastikflaschen lag die Rücklaufquote Ende 2023 bei nur 68 Prozent. Die Regierung ging von 90 Prozent aus. Bei Dosen ist die Quote wohl noch geringer.

Vielleicht haben sich die Bürger nach Jahrzehnten der Pfandlosigkeit noch nicht ans neue System gewöhnt. Vielleicht ist es auch nur Bequemlichkeit. »Wenn ich irgendwo eine Dose Softdrink kaufe, muss ich sie den Rest des Tages bei mir behalten, zu Hause sammeln und dann in einen Supermarkt bringen. Von vielen Menschen ist das zu viel verlangt«, vermutete Rob Buurman, der Direktor der NGO »Fair Resource Foundation«, am Donnerstag im öffentlich-rechtlichen Rundfunk NOS. Die 15 Cent, die sie für jede Dose und Plastikflasche im Supermarkt erhalten würden, sind anscheinend ein zu geringer Anreiz.

Für Mittellose sind die paar Cent jedoch Grund genug, im Müll nach Dosen und Flaschen zu suchen. »Anscheinend leben in den Niederlanden genügend Menschen in solcher Armut, dass es sich lohnt, Mülltonnen zu durchsuchen«, so Buurman. Das kann aber kaum der Grund sein für den auf der Straße verstreuten Müll, der seit der Einführung des Pfandsystems zugenommen haben soll. Armut und Pfandsammler gibt es in Deutschland ebenfalls, ohne dass dadurch das Abfallproblem in den Innenstädten merkbar zugenommen hätte.

Um den Augiasstall im öffentlichen Raum auszumisten, sind laut dem Verband der Reinigungsdienste NVRD in Großstädten pro Jahr zwei zusätzliche Vollzeitkräfte nötig. Nijmegen hat unlängst sogar ein Bußgeld für das Öffnen fremder Müllsäcke eingeführt, berichtete NOS am Donnerstag. Eindhoven setzt auf eine elegantere, weniger repressive Lösung: An den Abfalleimern ist außen eine Vorrichtung angebracht, in der Passanten ihre leeren Dosen und Flaschen bequem separat entsorgen können. Pfandsammler können das Leergut mitnehmen, ohne den Abfalleimer durchwühlen zu müssen.

Der NVRD und der Verband der niederländischen Gemeinden bemängeln außerdem zu wenige Sammelstellen, bei denen man das Pfand zurückbekommt. In den Niederlanden ist die Rücknahme bis jetzt freiwillig. In allen anderen Staaten in Europa mit einem Pfandsystem ist sie verpflichtend. Für die Organisation »Verpact«, in der Supermärkte, Produzenten und Importeure vertreten sind und die das Pfandsystem verwaltet, geht das zu weit: »Wir wollen den Mittelstand nicht in die Kosten treiben.« Das Resultat: In den Niederlanden gibt es bis jetzt nur 5.000 Pfandautomaten. Die staatliche Aufsichtsbehörde ILT droht jetzt mit einer Strafzahlung von bis zu 250 Millionen Euro, wenn nicht schnell mehr Automaten aufgestellt werden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ronald B. aus Kassel-NORD! (6. Juli 2024 um 19:09 Uhr)
    Anstatt wie im Artikel geraten eine Einrichtung an den Mülleimern anzubringen (»Pfandringe«), mittels derer Pfand weitergegeben werden kann, stellen die Großstädte verstärkt »Mülltresore« auf, in die die Leute ihrem Müll mittels Klappe versenken können – damit erledigt sich der minütliche Anblick, der den Müll durchwühlender Armen einerseits – und die Pfandbeute der Citys landet bei dem Müllunternehmen (im positiven Fall als Zuschuss zur Weihnachtsfeier der Belegschaft, im Negativfall als eigener Gewinnposten).

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