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Aus: Ausgabe vom 06.07.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Zwei Richtung Kiew

Von Arnold Schölzel
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Der Verleger und Chefredakteur der schweizerischen Weltwoche, Roger Köppel, berichtet, wie er als einziger Journalist den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán am Dienstag zum Besuch bei Wolodimir Selenskij in Kiew begleiten durfte. Der Ungar und Köppel, der bis 2023 acht Jahre lang die einheimische Partei für Faschisten, SVP, im Schweizer Nationalrat repräsentierte, sind sich in vielem einig: Geht es um Migranten, insbesondere muslimische, pfeifen beide auf Humanität und Recht. Zu Frauen fällt ihnen zumeist Biologistisches aus den Zeiten der Menschwerdung des Affen ein. Die Rücknahme der europäischen Aufklärung, insbesondere deren Gleichheitsversprechens, ist ihre Maxime. Köppel nannte folgerichtig Apartheid und Völkermord in Palästina einen »gerechten Krieg«, Orbán ist sich mit Netanjahu schon länger einig.

Leute dieser Trump-Couleur sind – außer Kommunisten, einer Handvoll Sozialdemokraten und dem BSW, dessen Vorsitzende Sahra Wagenknecht in derselben Weltwoche-Ausgabe ausführlich interviewt wird – gegenwärtig fast die einzigen im Westen, die auf Frieden statt Eskalation im Ukraine-Krieg drängen und wie Orbán zum Entsetzen der EU-Schranzen sogar mit Wladimir Putin reden. Das charakterisiert die Wertegemeinschaft ausreichend.

Köppel schildert breit die umständliche Anreise mit Flug und Auto von Orbáns Antrittsempfang als EU-Ratspräsident am Montag von Brüssel aus. Orbán, so Köppel, sprudelt dabei unentwegt »fast stakkatohaft«: »Er sehe sich als eine Art ›Problem-Scout‹-Erforscher der Minenfelder und Konflikte, werde Berichte verfassen, möglichst wirklichkeitsgetreue Standortbestimmungen, Handlungsvarianten aufzeigen. Aber entscheiden solle dann der Rat, nicht er.« Libanon, Balkan, Sahel – oberste Priorität aber habe die Ukraine, wo täglich »an der Front Hunderte, Tausende junger Leute« stürben: »Das muss aufhören. So schnell wie möglich.«

Köppel erinnert an ein Weltwoche-Interview im vergangenen Jahr, in dem Orbán erklärt hatte, »dass die EU als politischer Faktor nicht mehr existiert. Es gibt sie nicht mehr. Sie hat sich abgemeldet, spielt keine Rolle, ist Spielball fremder Interessen.« Keiner außer ihm wolle mit Putin sprechen. Zuerst brauche es einen Waffenstillstand, aber: »Alle EU-Regierungschefs außer mir sehen es genau umgekehrt. Sie wollen die Friedensbedingungen zuerst, den Waffenstillstand später.« Das sei »der falsche Ansatz, ein stabiler Friede sei viel schwieriger zu erreichen als eine Beendigung des täglichen Gemetzels«. Er glaube, Selenskij sei an einem Waffenstillstand interessiert, das gelte es jetzt auszuloten. Sollte er Orbáns Plan nicht zustimmen, werde dieser ihm vorschlagen, wenigstens während der Olympischen Spiele von Paris die Waffen ruhen zu lassen.

Warum Selenskij darauf eingehen solle? Orbán: »Weil er in Schwierigkeiten steckt. In den USA kündigt sich ein Regierungswechsel an. Nach Bidens Ausfall am TV-Duell stehen die Zeichen auf ein Comeback von Trump. Dann aber wird Selenskij nichts mehr zu sagen haben. Trump wird direkt mit Putin verhandeln. Unter Ausschluss von Selenskij und Europa. In diesem Fall gibt es für Selenskij nichts mehr zu gewinnen, aber sehr viel zu verlieren. Das muss ich ihm klarmachen.« Nur der Ukrainer könne »die EU-Blockade gegen Russland lösen. Wenn er die Verhandlungsinitiative für eine Waffenruhe ergreift, werden sich die Europäer nicht dagegenstellen, wichtig ist, dass wir den US-Wahlen zuvorkommen.«

Wer so plausibel redet, hat Geheul aller Kriegshöllenhunde in Brüssel und Gegeifer der Helden des antirussischen Widerstandes in Berlin eingepreist. Köppels Bericht besagt auch, dass deren Zeit abläuft.

Wer so plausibel redet, hat Geheul aller Kriegshöllenhunde in Brüssel und Gegeifer der Helden des antirussischen Widerstandes in Berlin eingepreist.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (8. Juli 2024 um 13:46 Uhr)
    Orbáns Friedensmission reißt dem »wertegeleiteten« Westen die Maske endgültig ab oder man kann es auch anders sagen – jetzt zeigt sich die Janusköpfigkeit des Europäischen Rates. Außer Robert Fico aus der Slowakei prügeln alle auf Orbán ein. Nun ist er auch noch in China! Viktor Orbán ist kein Demokrat nach westlichem Verständnis, aber er will diesen Krieg endlich beenden, will erreichen, dass die Europäische Union wieder friedensfähig wird. Und er will erreichen, dass die Gesprächskanäle zwischen Moskau, Kiew, Beijing und Brüssel wieder so genutzt werden, dass es für uns alle wieder sicherer wird. Er hängt sich an den Sekundenzeiger der Weltuntergangsuhr, will damit verhindern, dass dieser Zeiger unaufhaltsam auf das Ende zu rückt. Er hat vielleicht nicht das Mandat der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates und seiner Beamten. Aber er hat sicherlich das Mandat vieler europäischer Bürger, von denen die kriegsbesoffenen Brüsseler und Straßburger Beamten gewählt wurden. Viel Erfolg, Herr Orbáns!
    • Leserbrief von Franz Döring (9. Juli 2024 um 10:56 Uhr)
      Ich finde es natürlich richtig, dass Orban kein demokrat nach westlichen Verständnis ist! Er ist ein glühender Antikommunist und unterdrückt die linke Opposition in seinem Land. Er unterstützt die faschismusfreudlichen Parteien in Europa und stellt europäische Antifaschisten gnadenlos vor Gericht.
      • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (9. Juli 2024 um 12:38 Uhr)
        »Er ist ein glühender Antikommunist und unterdrückt die linke Opposition in seinem Land. Er unterstützt die faschismusfreudlichen Parteien in Europa und stellt europäische Antifaschisten gnadenlos vor Gericht.« Herr Döring, trifft das nicht alles auf die Zustände in der von Ihnen so unterstützten Ukraine zu, welche faschismusfreundliche Parteien, Militärverbände, ja sogar faschistische Führer auszeichnet, dies nicht nur an einem »Tag der Ehre« sondern immer. Dann verstehe ich nicht ganz, was Sie oder die Führung der EU gegen Orban haben. In Kiew heißt ein von faschistischen Terroristen maßgeblich beeinflusster Regierungsumsturz ja auch »Revolution der Würde«. Wie sich die Orwellschen Phrasen doch alle gleichen! Der gegenüber Ungarn zur Schau gestellte Antifaschismus entpuppt sich eben als Theatervorstellung, wenn man gleichzeitig die Ukraine unterstützt bzw. einem ehemaligen Präsidenten wie Selenskij, der zu »Asow« lediglich bemerkte: »Sie sind eben so, wie sie sind«, im Bundestag stehende Ovationen bereitet, wo deutsche Politiker ihre Reden mit dem ukrainischen Nazi-Gruß beenden. Diese peinliche Inkonsequenz zeichnet auch viele Linke aus.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Raimon B. aus Chemnitz (7. Juli 2024 um 16:35 Uhr)
    In Europa tobt seit zweieinhalb Jahren ein Krieg, den schon Hunderttausende Menschen mit ihren Leben bezahlt haben! Endlich ergreift der amtierende EU-Ratspräsident Viktor Orbán die Initiative, den existenziell gefährlichen Konflikt für ganz Europa und die Welt entschärfen zu wollen. Zuerst reist er nach Kiew, um anschließend mit der kriegsbeteiligten Gegenpartei in Moskau Kontakt aufzunehmen. Das ist genau das, was man von der EU als Friedensnobelpreisträgerin erwarten darf, wenn sie denn ihren eigenen wertedefinierten Ansprüchen gerecht werden will. Plötzlich ist da die Hoffnung, dass die Diplomatie wieder das Gewicht erhält, was für die erfolgreiche Gestaltung internationaler Beziehungen notwendig ist. Und was passiert? Völlig unverständlich erhebt sich in Brüssel, Berlin und anderswo nahezu ein Geschrei und Distanzierungsverhalten christ-, liberal- und sozialpolitischer Mandatsträger, bei dem sich die Grünen noch besonders hervortun, um die auf einen Waffenstillstand orientierte Initiative zu delegitimieren. Heuchlerischer kann man nicht handeln. Dabei geht es um den ersten ernsthaften Versuch aus dem Westen, dem Sterben und Leiden von Kindern, Frauen und Männern ein Ende bereiten zu wollen. Es wäre nur zu wünschen, dass neben dem slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico auch weitere Politikerinnen und Politiker in Europa, aber auch der USA, auf friedenspolitische diplomatische Aktivitäten setzen und sie unterstützen würden.

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