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Aus: Ausgabe vom 06.07.2024, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage
Österreich

Partisanen der Berge

Auf den Spuren des antifaschistischen Widerstands im Salzkammergut. Von Florian Osuch (Text) und Anna Jocham (Fotos)
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Nur noch die Gedenktafeln erinnern an das KZ-Außenlager in Ebensee

Das Salzkammergut in Österreich ist eine Region von herausragender Schönheit. Klare Seen, majestätische Berge, historische Städte und vielfältige Freizeitmöglichkeiten ziehen Tausende Besucher an. Das Dorf Hallstatt mit nicht einmal 800 Einwohnern wird jährlich von knapp einer Million Touristen heimgesucht. Zusammen mit Hallstatt und dem Gebirgsmassiv Dachstein bildet das Salzkammergut eine von zehn UNESCO-Welterbestätten im Land.

Die Region zwischen Steiermark, Salzburg und Oberösterreich ist touristisch bestens erschlossen. Fremdenverkehr wird dort seit über einhundert Jahren betrieben, winters wie sommers. Bekannt sind auch die vielen Kurbäder und die durch Brauchtumspflege bewahrte volkskulturelle Eigenständigkeit.

Neben dieser Seite bietet das Salzkammergut allerdings noch etwas anderes: die überaus interessante Regionalgeschichte einer Widerstandsbewegung gegen den Faschismus. Ihre Spuren bleiben den allermeisten Besucherinnen und Besuchern vermutlich jedoch verborgen. Zu spärlich sind die Hinweise, zu abgelegen das einstige Partisanenversteck, zu wenig passt das Erbe der zumeist kommunistischen Akteure in die zelebrierte Sisi-Romantik.

Anlässlich der »Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut« – zu ihr haben sich in diesem Jahr 23 Gemeinden zusammengeschlossen – werden mehrere Touren auf den Spuren der Partisanengruppe angeboten. Die hohe Nachfrage – alle Termine sind ausgebucht – zeigt das Interesse an diesem Aspekt der Regionalhistorie.

Es lohnt sich, in dieser überaus reizenden Bergwelt die Spuren der Antifaschisten zu erkunden. Als Ausgangsort eignet sich der Ort Ebensee, am südlichen Rand des Traunsees. Dort gibt das Zeitgeschichte Museum ein umfassendes Bild zur Geschichte des Salzkammerguts, ohne idealisierte Heimatbilder: von der Ersten Republik, über den Austrofaschismus, die Zeit als das Alpenland als »Ostmark« Teil des Deutschen Reiches war, die Geschichte der Verfolgung und Widerstands sowie der Umgang mit der NS-Zeit nach 1945. Besonders beeindruckend sind die Videointerviews ehemaliger Angehöriger der Widerstandsbewegung.

Auf der Fahrt ins Kerngebiet der Partisanengruppe passiert man am südlichen Rand der Gemeinde das ehemalige Konzentrationslager Ebensee. Vom 1943 errichteten Lager – einem der größten Außenlager des KZ Mauthausen – ist heute allerdings nur noch der steinerne Torbogen, der einstige Haupteingang des KZ, erhalten. Eine Gedenkstätte erinnert an die etwa 27.000 Häftlinge, die das Lager durchliefen, und die 8.500 von ihnen, die dort den Tod fanden. Nach wenigen Gehminuten erreicht man von dort eine der zahlreichen Tunnelanlagen, die Häftlinge in den Berg schlagen mussten, um dort unter Tage Rüstungsgüter zu produzieren. Im Stollen Nummer fünf befindet sich eine Ausstellung. Ferner ist ein Teil des sogenannten Löwengangs erhalten. Das war ein Stacheldrahtkorridor, den die Häftlinge auf ihrem Weg zum Arbeitseinsatz durchliefen; zwei Steintreppenabschnitte des »Löwengangs« sind begehbar.

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Beim Abstieg aus dem Toten Gebirge: Blick auf den Grundlsee

Idyllisches Altaussee

Etwas südlich, im oberen Salzkammergut, das auch Ausseerland heißt, liegt das malerische Dorf Altaussee. In dieser Gegend waren etwa ab 1940 mehrere, teils unabhängige Widerstandsgruppen aktiv. Die größte und bekannteste ist die Gruppe »Willy-Fred« um den Kommunisten Sepp Plieseis aus Bad Ischl. Altaussee eignet sich bestens, um Originalschauplätze der Antifaschisten zu erkunden. Das lesenswerte Wanderbuch »Auf den Spuren der Partisanen« mit zwölf Routenempfehlungen ist ein guter Begleiter. Sein Schwerpunkt liegt auf Hintergrundinformationen zum Widerstand, weshalb das Buch um einen Bergführer zu ergänzen ist, etwa durch »Salzkammergut Ost« (Rother-Verlag) – darin fehlen wiederum geschichtliche Hinweise.

Östlich der Gemeinde beginnt das Tote Gebirge. Das beeindruckende Karsthochplateau dieser Gebirgsgruppe – höchster Gipfel ist der Große Priel (2.515 m) – ist wegen seiner rauhen und weithin unzugänglichen Landschaft bestens geeignet, um sich zu verstecken. Bereits 1940 gab es erste Wehrmachtssoldaten, die nach einem Urlaub von der Front nicht mehr zurück in den Krieg, sondern ins Gebirge gingen.

Das Verstecken im Toten Gebirge war in schwer zugänglichen Höhlen oder Almhütten nicht schwer. Problematischer war die Versorgung der Untergetauchten mit Lebensmitteln sowie die Geduld, die sie in ihren Behausungen aufbringen mussten. Der vielleicht wichtigste Aspekt war jedoch das Verwischen der Spuren, niemand durfte wissen, dass sich die Deserteure noch in ihrer Heimat aufhielten. Deshalb bestiegen die Männer ganz offiziell den Zug in Bad Aussee zurück Richtung Truppe, um ihn später unerkannt wieder zu verlassen – so war nicht aufzuklären, wann und wo sich die Soldaten abgesetzt hatten.

Plieseis kehrt zurück

Eine neue Qualität erreichte der Widerstand ab 1943 durch die Rückkehr des Spanienkämpfers Sepp Plieseis (1913–1966). Er hatte sich den Internationalen Brigaden angeschlossen und war nach dem Sieg Francos zunächst in Frankreich interniert und dann ins KZ Dachau verbracht worden. Aus einem Außenlager gelang ihm die Flucht in seine alte Heimat. Dort nahm er sogleich wieder Kontakt zu alten Genossinnen und Genossen auf und zog sich in die Berge zurück.

Da sich immer mehr politisch Verfolgte versteckten, errichteten sie im Frühjahr 1944 eine eigene Hütte. Sie nannten ihren Unterschlupf »Igel«, weil sie beim Bau ein solches Tier aufgeschreckt hatten. Das Leben dort war mühsam, vor allem im Winter: Unzureichende Ernährung, ständige Furcht vor Entdeckung und das enge Zusammenleben von bis zu 30 Untergetauchten führten zu Spannungen, auch weil einzelne unter Inkaufnahme hoher Risiken Angehörige im Tal besuchten. Die SS sowie Gestapo und der Sicherheitsdienst der SS (SD) hatten in fast allen Dörfern Stützpunkte errichtet.

Von Altaussee ist der »Igel« heute in einer mittelschweren Tageswanderung zu erreichen. Der Weg führt im Schatten des markanten Loser-Gipfels (1.837 m) über den teils gesicherten Nagelsteig Richtung Ischler Hütte. Der Abzweig zum »Igel« ist nicht einfach zu finden. Vom einstigen Versteck sind alle Spuren getilgt. Dort befindet sich heute ein kleines Denkmal. Die nahe gelegene Ischler Hütte war bereits 1925 errichtet worden und schon damals ein beliebtes Wanderziel. So mussten sich Sepp Plieseis und seine Mitstreiter nicht nur vor Polizei- und SS-Einheiten, Jägern oder Förstern versteckt halten, sondern auch vor neugierigen Wanderern.

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Steinharte Arbeit: KZ-Häftlinge mussten tiefe Stollen in den Berg graben

Um die Untergetauchten im »Igel« reihten sich mehrere Kreise nicht untergetauchter Mitglieder des Widerstandsnetzwerks. Bis 1945 umfasste dieses Netzwerk 500 bis 600 Personen, die meisten Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten und Katholiken. Politische Differenzen wurden zurückgestellt, sie verband die Gegnerschaft zum Naziregime.

Eine besondere Rolle nahmen Frauen ein, die weitgehend unverdächtig ihre widerständigen Tätigkeiten in den Alltag integrieren konnten. Einige organisierten und transportierten Lebensmittel oder trugen Informationen zusammen, über den Kriegsverlauf oder über die Stärke von SS und Gestapo. Andere beschafften Nachtlager auf Dachböden und Scheunen. Es gab stille Unterstützer, deren unbewohnte Hütten und Almen genutzt wurden. So zog sich ein unsichtbares Band der Solidarität quer durch das Ausseerland. Die Antifaschisten begannen sich auch zu bewaffnen – vor allem mit Pistolen, Jagdgewehren und mit von Deserteuren zurückgelassenen Waffen –, allerdings kamen diese nie zum Einsatz. Deshalb ist die Bewegung nicht mit Partisanengruppen vergleichbar, wie sie in Jugoslawien, Italien, Polen oder insbesondere auf dem Gebiet der Sowjetunion kämpften.

Kunstgüter gerettet

Ebenfalls von Altaussee erreicht man zu Fuß das ehemalige Salzbergwerk, wo sich der vielleicht bekannteste Aspekt des Widerstands im Salzkammergut abspielte: die Rettung von Zehntausenden Kunstgütern vor der Zerstörung durch die Nazis. Ab 1943 war das Bergwerk die größte geheime Einlagerungsstätte für Raubkunst. Die Anlagen wurden wegen ihrer trockenen und konstanten klimatischen Bedingungen ausgewählt, die ideal für die Lagerung empfindlicher Kunstwerke waren.

Im oberösterreichischen Linz planten die Nazis mit dem monumentalen »Führermuseum« die größte Kunstsammlung der Welt. Als das Kriegsende näher rückte, sollten die Kunstschätze vernichtet werden, damit sie nicht in die Hände der Alliierten fallen. Bergwerksarbeiter und Angehörige der Widerstandsbewegung verhinderten die Zerstörung, indem sie die Sprengung der Stollen sabotierten. Heute sind die »Salzwelten Altaussee« täglich für Besucher geöffnet. Im Juli und August dieses Jahres gibt es Sonderführungen »Bomben auf Michelangelo«.

Kaltenbrunner überlistet

Um den Schauplatz der wohl spektakulärsten Aktion der Partisanen zu erreichen, muss man hoch ins Tote Gebirge aufsteigen. Im Frühjahr 1945 hatte sich Ernst Kaltenbrunner, Chef des SD und Leiter des Reichssicherheitshauptamts, nach Altaussee abgesetzt. Das Salzkammergut war zentrale Region der sogenannten Alpenfestung, aus der heraus die Naziführung den Krieg fortsetzen wollte. Doch auch Kaltenbrunner erkannte, dass das NS-Regime fallen würde. Ein mit den Partisanen sympathisierender Jäger konnte Kaltenbrunner und einige Getreue überzeugen, sie in eine abgelegene Hütte zu bringen, um damit ihre Flucht zu ermöglichen. Zwei Jäger führten den mit falschen Pässen ausgestatteten Kaltenbrunner, seinen Adjutanten und zwei SS-Männer am 7. Mai 1945 von Altaussee zu der noch im Schnee liegenden Wildenseehütte. Die zurückgekehrten Jäger informierten dann die Widerstandskämpfer und wenig später die eintreffenden Alliierten. Am 12. Mai stiegen vier Mitglieder der Partisanengruppe und eine Patrouille der US-Armee zur Hütte auf und nahmen Kaltenbrunner und seine Begleiter gefangen.

Von Altaussee ist der Zustieg zur Wildenseealm lang und beschwerlich. Abgekürzt werden kann er vom Loser-Parkplatz, der über eine Mautstraße erreicht wird. Auch dann bleibt der Weg herausfordernd: Der schroffe Karl-Stöger-Steig erfordert Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Hier wird die Bedeutung dieser wildwüchsigen Bergregion als Rückzugsraum der Widerstandskämpfer deutlich. Wem Hin- und Rückweg an einem Tag zu mühsam sind, wandert von der Wildenseealm eine halbe Stunde weiter zum Albert-Appel-Haus. Die bewirtschaftete Hütte eignet sich bestens, um auf dem karstigen Hochplateau das Operations- und Rückzugsgebiet der Partisanen weiter zu erkunden. Ein Abstieg ist sowohl zurück nach Altaussee als auch nach Gößl am Grundlsee möglich. Von dort kann wiederum der geheimnisumwobene Toplitzsee besucht werden. Dort waren zu Kriegsende Kisten mit Pfundnoten und anderes Material aus einer Falschgeldwerkstatt im KZ Sachsenhausen, als Teil der sogenannten Operation Bernhard, versenkt und nach Kriegsende geborgen worden.

Und an Regentagen?

Wenn das Wetter mal nicht mitspielt, kann man sich auch literarisch den Widerstandskämpfern nähern. Seit diesem Jahr liegt ein Reprint der fast 800 Seiten umfassenden Materialsammlung zur Freiheitsbewegung im Ausseerland vor. Erstellt worden ist sie von Peter Kammerstätter (1911–1993), der ab Ende der 1960er Jahre zahlreiche Erinnerungen, Unterlagen und andere Dokumente zur Partisanengruppe zusammentrug. Kammerstätter, ehemaliger Buchenwald-Häftling und nach dem Krieg 15 Jahre Mitglied im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Österreichs, hat ein detailreiches Zeugnis darüber zusammengestellt, wie tief das Netzwerk in der Bevölkerung verankert war. Bis zu seinem 80. Geburtstag führte Kammerstätter Interessierte zu geschichtsträchtigen Schauplätzen der Partisanen. Ebenfalls lesenswert ist Sepp Plieseis Biographie »Partisan der Berge«, die 1971 in der DDR herausgegeben worden war. Der Titel ist antiquarisch erhältlich. Das Fernsehen der DDR produzierte mit »Gefährliche Fahndung« sogar eine eigene Fernsehserie über die Antifaschisten im Ausseerland; eine Neuauflage der Serie erschien im Jahr 2010 auf DVD. Die Rettung der geraubten Kunstwerke ist überdies im US-Blockbuster »Monuments Men« mit George Clooney als Regisseur und Hauptdarsteller verfilmt. Das deutsch-österreichische Drama »Ein Dorf wehrt sich« würdigt neben der Kunstrettung auch die daran beteiligten Widerstandskämpfer.

– Zeitgeschichte­museum Ebensee

Kirchengasse 5, 4802 Ebensee, Öffnungs­zeiten noch bis 30. September: Dienstag–Sonntag, 10–17 Uhr

– Gedenkstätte KZ Ebensee

Am südlichen Teil von Ebensee, an der B 145, Ausfahrt Rindbach, Ausschilderung folgen

Gedenkstollen, Öffnungs­zeiten noch bis 15. September: Dienstag–Sonntag, 10–17 Uhr

Zugang zum KZ-Friedhof, zum Torbogen ­(ehemaliger Lager­eingang) und zum ­Löwengang frei

Literatur

– Christian Topf: Auf den Spuren der ­Partisanen. ­Zeitgeschichtliche Wanderungen im ­Salzkammergut. Lit-Verlag, Wien 2018

– Raphael Besenbäck (Hg): ­Salzkammergut – Ausseerland. ­Widerstand und Partisanenbewegung 1943–1945. Eine Materialsammlung von Peter Kammerstätter, Weitra 2024

– Sepp Plieseis: Partisan der Berge. Lebenskampf eines österreichischen Arbeiters. Deutscher ­Militärverlag der DDR, 1974 (nur noch antiquarisch)

Filme

– »›Ich hab’ nur meine Pflicht getan!‹ – ­Widerstand im Salzkammergut 1938–1945. Zeitzeug:innen erzählen«, ein Film von Max Stelzhammer (1988), kostenlos unter: kurzlinks.de/Ebensee

– »Gefährliche Fahndung«, siebenteilige Serie des Fernsehens der DDR von Harald Hauser (1978), Neuauflage als DVD erhältlich

– »Monuments Men – Ungewöhnliche Helden« (USA/D 2014)

– »Ein Dorf wehrt sich. Das Geheimnis von Altaussee« (D/A 2019)

Berg-/Wanderführer (Auswahl)

– Franz Hauleitner: ­Salzkammergut Ost. 63 Touren. Rother Bergverlag, 5. Auflage, 2022

– Franz Hauleitner: Wandern am Wasser im Salzkammergut. Rother Bergverlag, 2023

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