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Aus: Ausgabe vom 08.07.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
»Black-Tax«

Generationen der Armut

Familiäre Pflicht oder übergriffiges Anspruchsdenken: Wie Kenia über die »Black Tax« debattiert
Von Lorna Likiza
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Wer besser verdient, zahlt für die Familie mit. Für manche ist das eine Selbstverständlichkeit, für andere eine übertriebene Erwartungshaltung

Der Begriff »Black Tax« stammt laut Wikipedia aus Südafrika. Er bezieht sich auf das Geld, mit dem schwarze Arbeiter, insbesondere nach dem Aufstieg in höhere Gehaltsklassen, ihre Eltern, Geschwister oder andere Familienmitglieder unterstützen müssen. Oft geschieht dies aus Verpflichtung oder aber einem tief verwurzelten Gefühl familiärer Verantwortung. Neben der Verpflichtung zur Unterstützung der Familienangehörigen sind daran häufig auch Erwartungen an Lebensführung und Erfolge der »Steuerzahlenden« geknüpft. Der daraus entstehende Leistungsdruck ist für viele eine schwere Bürde. In der Latino-Kultur existiert ein Äquivalent dazu – die »Brown Tax«.

Vor drei Jahren verklagte der 73jährige Gideon Kisira Cherowo aus dem Trans-Nzoia County in Kenia seinen 48jährigen Sohn Washington Chepkombe Cherowo. Der habe ihn im Stich gelassen, so der Vorwurf des Alten. Nachdem er für das Studium des Sohnes bezahlt habe und noch die Mitgift seiner Schwiegertochter. Der Senior klagte auf Unterhalt. Ein Fünftel des monatlichen Einkommens seines Sohnes schien ihm angemessen. Der habe ihn in einem Dorf ausgesetzt und sich zehn Jahre lang nicht blicken lassen. Diese Angaben wurden von einem weiteren Sohn, David Masyek Cherowo, bestätigt.

Es ist nicht bekannt, ob die Klage Ergebnisse erbrachte, aber sie erregte Aufmerksamkeit im Land und über die Grenzen hinaus. Viele in der kenianischen Öffentlichkeit stellten sich auf die Seite des Vaters. Der habe viel dafür geopfert, dass der Sohn dort sei, wo er sei. Daraus ergebe sich die Pflicht des Sohnes, dafür zu sorgen, dass es dem Vater gutgehe. Einige hielten dagegen, nur krankes Anspruchsdenken könne einen Vater dazu treiben, vor Gericht Geld aus seinem Sohn herauszupressen.

Für Afrikaner ist die »Black Tax« kaum zu vermeiden. Vielen armen, ungebildeten Eltern mangelt es an Absicherung im Alter. Sie haben weder Rente noch Krankenversicherung, sind deshalb oft genug darauf angewiesen, dass ihre erwachsenen Kinder mehrere Jobs machen. Die afrikanische Tradition schreibt vor, dass Kinder ihren Eltern im Alter helfen, egal, wie reich oder arm diese sind. Es gibt auch das Gefühl der Dankbarkeit gegenüber den Eltern, das viele dazu treibt.

Aber das »Black Tax«-System gerät schnell an seine Grenzen, wenn man zum Beispiel das einzige gebildete Familienmitglied ist. Weil man als Kind klug war und das Glück hatte, über die Schule ein Stipendium zu bekommen und schließlich einen anständigen Job. Vielleicht war man in den 70er Jahren auf einem Bauernhof unbrauchbar, aber fleißig in der Schule, was einen auf die Missionsschule brachte, während die Geschwister keine Ausbildung erhielten. In diesem Fall sind längst nicht nur die Eltern von einem abhängig, sondern auch die ungebildeten oder ärmeren Geschwister. Und deren Familien. Da ist es am Ende unmöglich, allen ausreichend zu helfen.

Um den Druck, dem Geflüchtete im Westen durch die finanziellen Erwartungen ihrer Familie in Afrika ausgesetzt sind, geht es im deutsch-ghanaischen Spielfilm »Borga« (2021). Das ghanaische Wort im Titel ist vom deutschen »Hamburg« abgeleitet und bedeutet »der reiche Onkel aus dem Ausland«. Der junge Held des Films schafft es von einer Müllhalde in Accra nach Mannheim. Um zu überleben, wird er zum Drogenkurier. Mit dem Vorschuss tritt er in Ghana als Borga auf, kann es sich aber nicht lange leisten, den Schein zu wahren.

Die »Black Tax« als Akt der Selbstlosigkeit, der oft als normal abgetan wird, ist Gegenstand in verschiedenen Werken afrikanischer Künstlerinnen und Künstler. Viele bezahlen den Versuch, ihre Familien zu unterstützen, mit ihrer eigenen, geistigen oder körperlichen Gesundheit. Trotz des gesellschaftlichen Aufstiegs erhalten die Zahler der »Black Tax« keine eigenständige finanzielle Stabilität.

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